Es gibt kein nächstes Mal
verspreche dir
auch, daß ich ganz still sein werde«, hatte ihr Vater gesagt. »Wir werden
einander helfen, uns zu konzentrieren.«
»Ist Tusker nicht schon vor Jahren im Zirkus
gewesen?« hatte Gemma gefragt.
»Oh, doch, das stimmt, und er hat großen Spaß
daran gehabt, aber das gilt heute als ideologisch fragwürdig, und deshalb geht er
noch mal hin und läßt all die anderen Tiere frei... nicht zu fassen, was? Hier
ist deine Mutter...« Er reichte den Telefonhörer weiter.
Estella und Daisy würden eine Studienreise nach
Italien unternehmen. Diesen Urlaub hatte Estella als Belohnung für den
Notendurchschnitt geplant, mit dem Daisy die Schule abschloß.
»Aber du weißt doch noch gar nicht, mit welchem
Notendurchschnitt sie die Schule abschließen wird!« hatte Gemma gesagt.
»O Liebling, sei doch nicht so gemein. Wenn sie
wunderbare Noten nach Hause bringt, dann hat sie es verdient, und wenn sie mit
schlechten Noten von der Schule abgeht, dann wird sie einen Urlaub erst recht
nötig haben...« Das war die Art von Logik, die Estella schon immer eingesetzt
hatte, wenn es um Daisy ging.
»Und ich bin auch urlaubsreif. Verstehst du, die
letzte Zeit ist nicht gerade angenehm für mich gewesen. Schließlich war dein
Vater die ganze Zeit über krank... Hast du Lust, mitzukommen, Schätzchen?«
fügte sie halbherzig hinzu, und irgendwie gelang es ihr, Gemma in zweifacher
Hinsicht Schuldbewußtsein einzuflößen, als hätte sie ihren Vater vernachlässigt
und ihrer Mutter die gesamte Verantwortung aufgebürdet, und jetzt versuchte sie
auch noch, sich vor ihren Pflichten zu drücken und ihrer Mutter den Urlaub zu
verderben.
»Nein«, sagte Gemma mürrisch und fragte sich,
wie es kam, daß ihre Mutter es jedesmal wieder schaffte, diese Wirkung zu
haben.
Sie wußte, daß Estella die Reise schon seit
Monaten geplant hatte, und kam nicht gegen das Gefühl an, auf diese Idee hätte
sie der Merchant-Ivory-Film Zimmer mit Aussicht gebracht. Daisy wies
eine geradezu gespenstische Ähnlichkeit mit Helena Bonham Carter auf. Ihrer
Mutter bot sich zum letzten Mal die Gelegenheit, Daisy zu verhätscheln, ehe sie
von zu Hause fortging, um ein Jahr lang in Paris Französisch zu lernen, ehe sie
ihr Studium aufnahm. Gemma wußte, daß Estella schon allein ihre bloße Gegenwart
als einen Störfaktor angesehen hätte, obgleich Daisy bettelte, sie solle doch
mitkommen, als sie am anderen Apparat den Hörer abnahm.
»Oh, bitte, komm doch mit, Bisk. Ganz im Ernst,
was soll ich denn an den Abenden tun, wenn Mum ins Bett geht? Wir könnten
wenigstens zusammen ausgehen, in Diskotheken oder so was, und unseren Spaß
haben.«
»Es geht nicht, Dodo«, hatte Gemma erwidert und
mühsam ein Kichern unterdrückt. Sie wußte, daß Estella bestimmt noch auf dem
anderen Anschluß mithörte. Daisy mußte es ebenfalls wissen. Wie schaffte sie es
bloß immer wieder, ungestraft davonzukommen? »Ich habe eine Menge zu tun.
Nächstes Jahr mache ich meine Abschlußprüfungen.«
»Ach, du bist wirklich eine alte Langweilerin!«
sagte Daisy. Dieser Begriff war neu zu ihrem Wortschatz hinzugekommen und wurde
damals reichlich überstrapaziert. »Kann ich dich besuchen, wenn das Schuljahr
vorbei ist, und ein paar Tage bei dir bleiben, ehe wir fortfahren?«
»Ich glaube, ich werde mich mehr oder weniger
gleich nach der letzten Vorlesung auf den Heimweg machen«, log Gemma.
Sie hatte bereits beschlossen, die Ferien in
Oxford zu verbringen, und sie hatte auch schon einen Job für sechs Abende pro
Woche in einer Pizzeria gefunden. Sie wollte allein sein, wenn Oliver einzog.
Sie wußte nicht, warum sie das ihrer Familie nicht sagen konnte, und
ebensowenig wußte sie, warum sie damals nicht erwähnt hatte, daß ein neuer
Mieter bei ihr einzog.
Bis sie Oliver begegnete, waren Gemmas
Erfahrungen mit der Liebe ähnlich denen vieler anderer Mädchen in ihrem Alter,
die aus der Mittelschicht stammten. Sie hatte in der Kleinstadt, die Whitton
House am nächsten lag, eine staatliche Schule besucht, eine reine
Mädchenschule. Früher einmal war es ein hochangesehenes Gymnasium gewesen, und
die Direktorin rang darum, den Schein zu wahren. Das Tragen einer Schuluniform
war Vorschrift, doch wenn man sah, wie die Mädchen auf dem Heimweg ihre marineblauen
Röcke an der Taille mehrfach umkrempelten und ihre rot und blau gestreiften
Krawatten lockerten, dann wirkten sie wahrscheinlich wesentlich provokativer,
als wenn man ihnen das Tragen ihrer eigenen Kleidung
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