Es gibt kein nächstes Mal
war verflogen. Sie zog ein Manuskript aus ihrer Tasche und fing an zu
lesen.
Um vier Uhr morgens erwachte sie zitternd vor
Kälte und hatte von der ungewohnten Lage auf dem Sofa einen steifen Nacken. Sie
schleppte sich nach oben und ließ sich auf das Bett fallen, doch der Schlaf
wollte sich nicht wieder einstellen. Den Rest der Nacht verbrachte sie mit dem
Versuch, eine bequeme Lage zu finden, und sie bemühte sich, über langweilige Themen
nachzudenken, um ihren Verstand auszutricksen, denn ihr schwirrte der Kopf, und
sie bekam Kopfschmerzen. Etwa um sechs Uhr gab sie den Kampf schließlich auf,
gönnte sich eine belebende Dusche und machte sich zu Fuß auf den Weg zur
Arbeit.
Die Luft war frisch, der Himmel blau, und die
blühenden Kirschbäume, deren Laub hellgrün in der Morgensonne schimmerte,
tauchten die Alleen in ein strahlendes Weiß. Sie traf schon vor dem
Sicherheitsbeamten ein und trank in der Sandwich bar an der Ecke einen Cappuccino.
Das Koffein durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Es gelang ihr,
sämtliche Briefe in ihrer Ablage durchzusehen und ein Band von dreißig Minuten
Länge zu diktieren, ehe Sally, ihre Sekretärin, zur Arbeit erschien.
Ihr erstes Mittagessen mit den Vertretern schien
sich endlos hinzuziehen. Gemma schlich sich am späten Nachmittag matt in ihr
Büro zurück, denn der Schlafmangel begann sich jetzt auszuwirken.
Auf ihrem Schreibtisch fand sie einen Stapel
Manuskripte und einen riesigen Strauß kunstvoll arrangierter Lilien vor.
»Was hat das zu bedeuten?« sagte Gemma laut vor
sich hin, während sie an den Blumen schnupperte und den exotischen Duft tief
einsog.
»Es hängt eine Karte dran.« Sally war
offensichtlich genauso neugierig darauf zu erfahren, wer der Absender war.
»Ja, in Ordnung. Danke, Sally.« Mit diesen
Worten schickte Gemma sie fort, da sie den kleinen weißen Umschlag ungestört
öffnen wollte.
Die Nachricht war klar und verständlich.
»Viel Glück in dem neuen Job. Ralph.«
Sie wollte gerade zum Hörer greifen, um bei Six
Pack anzurufen und sich dort nach seiner Nummer zu erkundigen, als das
Telefon läutete.
»Wie läuft es bei dir, und warum hast du noch
nicht angerufen?« fragte Meryl mit ihrer gewohnten Direktheit.
»Mir geht es gut«, erwiderte Gemma und überraschte
sich selbst damit, daß sie hinzufügte: »Also, ehrlich gesagt, es ist
schwieriger, als ich es mir vorgestellt habe.«
»Arbeitsmäßig?«
»Nein, ich weiß es selbst nicht recht. Es ist
noch zu früh, um etwas Genaueres zu sagen«, erwiderte Gemma. »Nein, der Job
scheint tatsächlich ganz normal zu laufen. Es ist der Rest. Ich fühle mich
irgendwie isoliert...«
»Du bist erst seit zwei Wochen dort.«
»Ich weiß, ich weiß, es ist nur einfach so,
daß... Ich stelle sozusagen fest, daß ich nicht weiß, wie man mit den Leuten
hier redet.«
»Männer?«
Gemma sah die Lilien auf ihrem Schreibtisch an.
Süßriechender Blütenstaub war in kleinen bernsteinfarbenen Lawinen auf ihre
Papiere gerieselt und hinterließ orangefarbene Flecken. Ehe sie dazu kam, eine Antwort
zu geben, stellte Meryl fest, daß der Firmenchef sie dringend sprechen wollte.
»Ich muß jetzt auflegen«, sagte sie. »Bis bald.«
Gemma warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war
halb sechs. Plötzlich fiel ihr wieder ein, daß sie sich zu einem Verhör über
Daisy bei Kathy einzufinden hatte. Sie hatte ursprünglich vorgehabt, die
Verabredung abzusagen, doch jetzt erschien ihr diese Aussicht gar nicht mehr so
übel. Selbst das kurze Gespräch mit Meryl hatte ihre Stimmung gehoben.
»Zoe verlangt, daß du ihr anstelle eines
Schweigegeldes eine Geschichte vorliest.« Kathy öffnete die Ofentür und zog
einen Tontopf heraus. Sie nahm den Deckel ab, und der Duft von Kräutern und
Rotwein wehte zu Gemma hinüber.
Gemma sah sie fragend an.
»Ich habe ihr gesagt, wir wollten eine Zeitlang
ungestört miteinander sein«, erklärte Kathy. »Ich hätte es mir ja gleich denken
können. Weißt du, ich bin nicht sicher, ob ich an all diese Theorien glaube,
daß man mit Kindern verhandeln sollte.«
»Aber kann sie denn nicht längst selbst lesen?«
fragte Gemma.
»Natürlich kann sie lesen, aber ich habe den
Fehler begangen, ihr zu erklären, was du tust — im Moment interessiert sie sich
sehr für Frauenkarrieren. Sie haben in der Schule ein Projekt laufen, aber von
einem Verlag hatten sie niemanden da, und dann habe ich versehentlich auch noch
deinen Vater erwähnt... Ich fürchte, sie hat
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