Es gibt kein nächstes Mal
gestattet hätte.
Viel zu kleine Schulblazer, aus denen man längst
herausgewachsen war, waren in der Ara des Punkrock sogar an den Wochenenden ein
Muß. Sämtliche Mädchen trugen Abzeichen und Sicherheitsnadeln. Besonders
begehrt war ein Set von der Ian-Dury-Tournee, das aus fünf grellbunten Buttons
bestand, deren winzige weiße Aufschrift »Sex and Drugs and Rock and Roll«
lautete. Gemma besaß eine Sammlung von rot und golden emaillierten
Anstecknadeln, auf denen Lenin abgebildet war. Bertie hatte sie von einer
Moskaureise des British Council mitgebracht, und Gemma trug sie auf dem Revers
ihres Schulblazers. Die Direktorin hatte die Anstecker mehrfach konfisziert,
doch sie wurden ihr jedesmal zurückgegeben, was zum Teil daran lag, daß Gemma
kein besonders aufsässiges Mädchen war, zum Teil aber auch daran, daß die
Direktorin den reichlich erbärmlichen Wunsch verspürte, weiterhin auf gutem Fuß
mit Bertie zu stehen und sich nicht mit ihm anzulegen. Und sie wollte es sich
auch mit niemandem sonst verderben, den sie auch nur im entferntesten für eine
Berühmtheit hielt.
Die Knabenschule lag am anderen Ende der Stadt.
Demzufolge fanden sich für gemeinsame Aktivitäten wie die Theatergruppe, den
Chor und das Orchester viel zu viele Anwärter. Die Direktorin war stolz auf die
musikalischen Leistungen ihrer Mädchen, obgleich sie sich keine Vorstellung
davon zu machen schien, warum in ihrer Schule soviel bessere Ergebnisse zu
verzeichnen waren als in den gemischten Schulen anderer Kleinstädte in der
näheren Umgebung.
Da sie ihren Londoner Stiefbruder Jonathan schon
immer abgöttisch verehrt hatte, schien Gemma in der Liebe das Stadium des
mädchenhaften Flirtens zu überspringen. Daisy sollte später einen Ausgleich
dafür schaffen. Daisy war etwa acht, als sie anfing, die Wände ihres
Schlafzimmers mit Bildern von Pferden vollzukleistern, doch im Alter von elf
Jahren vollzog sich ein plötzlicher Wandel. Die Ponys wurden heruntergerissen
und waren passe, wohingegen Fußballer, Popstars und Filmschauspieler ihren
Einzug hielten. Sogar Estella ließ sich in einem kritischen Tonfall, der ihren
Stolz kaum verhehlen konnte, zu der Bemerkung hinreißen, Daisys Wände stellten
eine für einen so jungen Menschen ungewöhnliche Treulosigkeit zur Schau.
Als Gemma zum Teenager heranreifte, blieb ihr
Zimmer unverändert; es war schon immer mit Berties Illustrationen ausgeschmückt
gewesen, und daran änderte sich auch jetzt nichts. Unter dem Bett bewahrte sie
jedoch klammheimlich einen Stapel Zeitschriften auf, mit deren Hilfe sie sich
auf »Beziehungen« vorbereitete. Sämtliche Testbögen — Bist du kokett? Neigst du
zur Eifersucht? Bist du ein Schmusekätzchen oder eine Wildkatze? — füllte sie
mit peinlicher Genauigkeit aus, ehe sie ihre Punkte zuammenzählte und nüchtern
die Ergebnisse zur Kenntnis nahm. Gemma gab ihr Taschengeld für
Schlammpackungen zur Gesichtsbehandlung aus, für Haarpackungen mit heißem 01
und für desodorierende Körpersprays, denn all das schien in dem Streben nach
Liebe grundlegend und unabdingbar zu sein. Das Küssen übte sie auf ihrem
Spiegel, und dabei ließ sie die Augen offen, weil sie genau wissen wollte, wie
sie beim Schmusen aussah, doch als sie ihren ersten Kuß bekam (von Christopher
O’Toole, an der Bushaltestelle nach einem Bewegungstraining der Dramagruppe),
mußte sie feststellen, daß das kalte Glas sie nicht im entferntesten darauf
vorbereitet hatte, wie warm und noch dazu ein wenig glitschig sich seine Lippen
auf den ihren anfühlten.
Danach fühlte sie sich berechtigt, mit ihren
Mitschülerinnen darüber zu diskutieren, was besser war, feuchte oder trockene
Küsse, und insbesondere fühlte sie sich auch zu der Entscheidung fähig, wie
weit sie mit einem Jungen gehen würde. In diesem Punkt waren ihr die
Zeitschriften keine große Hilfe. Auf den Problemseiten wurden Hinweise zur
Verhütung gegeben, und in den Artikeln fanden sich zahlreiche Ratschläge, wie
man Männer auf sich aufmerksam machte, doch zwischen beidem klaffte eine Lücke,
zu der kaum Anleitungen zu erhalten waren.
Sie war leidlich beliebt, und im Alter von
fünfzehn Jahren war sie bereits mit sechs verschiedenen Jungen ausgegangen und
hatte nach ihrer Schätzung, wie sie damals in ihrem Tagebuch festgehalten
hatte, sieben Achtel der Strecke zurückgelegt, war jedoch noch nicht aufs Ganze gegangen. (Ein Jahr später, als Gemma ihre Jungfräulichkeit verlor, war diese
Zahl ausradiert und in fünf
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