Es gibt kein nächstes Mal
weitaus schwerwiegenderen
Verlust abgelöst worden.
Das entsprach nicht der Wahrheit, sagte sie
sich, als sie die Erde rund um die Wurzeln der Geranie herum festdrückte. Unter
den Jahren verbarg sich immer noch eine schmerzhafte, klaffende Wunde. Nichts,
was sie je für einen Mann empfunden hatte, reichte auch nur annähernd an das
heran, was sie für Oliver empfunden hatte und immer noch empfand.
6
Als Gemma die Tür öffnete, läutete das Telefon und
erinnerte sie daran, daß sie sich einen Anrufbeantworter besorgen mußte. Es war
ein langer Tag gewesen. Sie wünschte sich nichts weiter als ein kühles Bad,
eiskaltes Wasser zu trinken und die frischen Nudeln zu kochen — die sie gerade
noch ergattert hatte, bevor das Feinkostgeschäft um die Ecke schloß, und sie zu
essen, ehe sie sich in ihr kühles weißes Baumwollbettzeug sinken ließ. Sie
hatte am Nachmittag so lange Zeit am Telefon verbracht, daß sie das Gefühl
hatte, auf ihrer rechten Gesichtshälfte den Abdruck eines Hörers zu haben.
Sie stellte die braune Papiertüte mit den
Lebensmitteln auf den Küchentisch und ließ die Tasche mit den Manuskripten auf
das Sofa fallen. Das Telefon läutete immer noch. Sie starrte es an und wollte
es gewaltsam dazu bringen, daß es verstummte, doch dann gab sie den Kampf auf,
zog den großen Perlenohrring von ihrem rechten Ohr und nahm den Hörer ab.
»Gemma?«
»Hallo, Kathy. Tut mir leid, ich komme gerade
von der Arbeit. Ich bin eben zur Tür reingekommen.« Gemma ließ sich neben ihre
Tasche auf das Sofa sinken und begann, mit einem kurzen Baumwollfaden zu
spielen, der sich aus der Naht gelöst hatte.
»Es ist schon kurz vor zehn. Ist das normal?«
»Tja, schließlich war heute mein erster Tag...
ich habe den ganzen Vormittag in Konferenzen gesessen und bin erst nach sechs
Uhr dazu gekommen, mir den Papierkram überhaupt anzusehen.«
»Du wirkst erschöpft. Wir können ein anderes Mal
miteinander reden. Wirklich. Es hat Zeit.«
»Nein, schon gut. Es freut mich ehrlich, daß du
dich meldest.« Wenn es nicht ausgerechnet Kathy, sondern jemand anderes gewesen
wäre, dann wäre das eine glatte Lüge gewesen. »Was ist los?«
»Nichts. Wirklich nichts Besonderes. Hör mal,
sieh zu, daß du heute früh ins Bett kommst. Bist du morgen abend zu Hause? Dann
können wir in Ruhe miteinander reden.«
Trotz des beschwichtigenden Tonfalls konnte
Gemma unterschwellig heraushören, daß Kathy unbedingt etwas loswerden wollte.
»Kathy... jetzt bin ich aber wirklich gespannt.
Was ist passiert?«
Sie hörte ein Seufzen am anderen Ende der
Leitung.
»Ich weiß noch nicht einmal, ob ich dich
überhaupt hätte anrufen sollen, Gem. Es ist nur... es ist nur einfach so, daß
ich heute im Camden Sainsburys Daisy über den Weg gelaufen bin...«
»Oh.«
»Gem. Sie wußte noch nicht einmal, daß du wieder
zurück bist. Es tut mir leid, wenn ich in ein Fettnäpfchen getreten bin, aber
sie war wirklich fassungslos... Ich fand, das solltest du wissen...«
Ein langes, kaltes Schweigen setzte ein.
»Ja, also, ich danke dir, Kath. Hör mal, ich glaube,
ich rufe dich doch lieber morgen an, wenn es dir recht ist.«
Gemmas geschäftlicher Tonfall, ruhig, eisig,
unnahbar.
»Warum kommst du nicht morgen zum Abendessen
rüber, Gem? Roger wird erst spät nach Hause kommen«, beharrte Kathy.
»Also gut, von mir aus.« Gemma war zu müde, um
sich zu widersetzen.
Sie verspürte eine leichte Übelkeit, als sie den
Hörer auflegte. Ihr Magen schlug vor Vergnügen einen Salto und landete unsanft
auf ihrem Schuldbewußtsein, das wie eine beharrliche Säure an ihr fraß. Beunruhigenderweise
entsprang ihr Vergnügen der Vorstellung, daß Daisy außer sich war. Einen
flüchtigen Moment lang sah Gemma ihre Schwester vor sich, wie sie, mit einer
grobmaschigen Einkaufstasche an der Hand, in Tränen aufgelöst neben einer
geräumigen Gefriertruhe stand, die bis oben mit Pommes frites zum Aufbacken
gefüllt war. Sie spürte den Stachel des Triumphes, weil es in ihrer Macht
stand, Daisy zu verletzen. Die Schuldgefühle waren immer da. Sie bildeten eine
Art Hintergrundgeräusch zu allem, was sie tat.
Daisy schien sie ständig zu bedrängen. Sie
brauchte nur eine Frauenzeitschrift aufzuschlagen, eine dieser
Hochglanzillustrierten, um auf ihren Namen zu stoßen. Patrick beschäftigte sie
für sein Magazin, und jetzt holte Daisy sie auch noch auf dem Umweg über Kathy
ein...
Gemma legte die Nudeln in den Kühlschrank. Ihr
Appetit
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