Es gibt kein nächstes Mal
Sprenkeln auf, die Blüten, die sich gerade erst zu öffnen begannen,
hatten ein helles Zitronengelb, und die vollständig aufgeblühten Blumen waren
so blaßgelb, daß ihre Tönung schon fast eierschalfarben war. Gemma beugte sich
vor, um an den Blumen zu riechen. Ein himmlischer und doch unaufdringlicher
Duft wehte in ihre Nase.
»Riech mal«, sagte sie. »Es ist einfach
wunderbar.«
Gehorsam beugte Daisy sich vor. Der Duft war
identisch mit dem der Rosen, die sich an der Fassade von Whitton House
hochrankten.
»Hm. Wie zu Hause«, sagte sie.
Gemma lächelte sie an, um zu zeigen, daß sie
diese gemeinsamen Erinnerungen zu schätzen wußte, doch dann zog sie ein langes
Gesicht. Sie wandte sich ab und starrte ins Leere, da sie Daisy beim besten
Willen nicht ansehen konnte.
»Du weißt doch, daß ich Oliver liebe?« sagte sie
leise.
Daisy war nicht ganz sicher, ob sie sich nicht
verhört hatte. Mit einem Satz sprang sie an die Seite ihrer Schwester. Was
sollte das heißen? Oliver hatte nur abfällige Bemerkungen für ihre Schwester
übrig. Sie konnten doch nicht etwa...
»Ich habe ihn schon immer geliebt«, sagte Gemma.
»Was soll das heißen?« fiel ihr Daisy ins Wort.
Gemma sah ihrer Schwester ins Gesicht und
versuchte, unter der unschuldigen Oberfläche Spuren von Heuchelei zu entdecken.
»Du hast es nicht gewußt, stimmt’s?« fragte sie.
»Was?«
»Daisy, ich war in Oliver verliebt«, sagte sie
aufgebracht. »Wir waren ein Liebespaar... das heißt, wir hatten uns gerade erst
zusammengetan... und dann bist du gekommen und hast ihn mir weggeschnappt. Von
dem Moment an habe ich dich gehaßt.«
Es dauerte mehrere Minuten, bis Daisy diese
Informationen zu einem Bild zusammengefügt hatte, und als die gräßliche
Erkenntnis dessen, was sie angerichtet hatte, schlagartig in ihr Gehirn
eindrang, stieß sie einen Klagelaut aus. »O Biskuit, warum hast du mir das
nicht gesagt?«
»Hätte sich dadurch etwas geändert?« Gemmas
Stimme war kalt und schroff.
Daisy wußte, daß das wahrscheinlich die
wichtigste Frage war, die sie ihrer Schwester jemals würde beantworten müssen.
Jetzt war sie an der Reihe, vorauszulaufen und die Blumen zu betrachten, da sie
nicht in Gemmas blaßblaue Augen sehen konnte.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich
aufrichtig. »Ich würde liebend gern sagen, natürlich hätte sich dadurch alles
geändert, aber ich kann mir mein Leben nicht ohne Lol vorstellen. Die Zeit, die
ich mit ihm verbracht habe, macht mehr als ein Drittel meines Lebens aus.
Insofern ist es wirklich eine seltsame Frage. Verstehst du, was ich meine?«
Sie sah Gemma an, die zuhörte und nickte.
»Verstehst du«, fuhr Daisy fort, da das
Ausbleiben einer Reaktion sie ermutigte, »wenn ich damals gewußt hätte, daß du
in ihn verliebt warst, dann hätte ich natürlich nicht mit ihm geflirtet. Aber
ich wußte nichts davon, und an jenem Tag erschien mir Oliver wie mein
Schicksal, als sei es mir so vorbestimmt gewesen.«
Sie lächelte unwillkürlich, als sie wieder an jenen
ersten Kuß zurückdachte. »Auf eine ganz komische Art ist es immer noch so...«,
fügte sie hinzu, und als sie daran dachte, wie er heute morgen unter der Dusche
gestanden hatte, zog sie die Stirn in Falten. »Aber ich wünschte, du hättest es
mir gesagt. Warum hast du mir nichts davon gesagt? Es ist gräßlich, keine
Ahnung zu haben...« Daisy konnte die Tränen jetzt beim besten Willen nicht mehr
zurückhalten. »Einfach gräßlich«, schluchzte sie.
»Hast du dir denn nie Gedanken darüber gemacht?«
fuhr Gemma fort, und ihre Stimme war nicht mehr ganz so kalt.
»Ich wußte, daß du mich haßt«, schniefte Daisy
und tastete in ihren Taschen nach einem Taschentuch.
Für Gemma war es fast so etwas wie ein Reflex,
ihre weiße Lederhandtasche zu öffnen und ein Taschentuch herauszuholen. Wie oft
hatte sie das im Lauf ihres Lebens schon getan? Daisy hatte nie ein Taschentuch
bei sich gehabt, noch nicht einmal in der Schule, obwohl sie damals ständig
hingefallen war und sich die Haut aufgeschürft hatte.
»Danke«, sagte Daisy, als sie das Taschentuch
entgegennahm. »...ich dachte, es hätte daran gelegen, daß mit mir nichts
anzufangen war, als Daddy gestorben ist und all diese Dinge geregelt werden
mußten. Und dann habe ich diesen Brief von Estella bekommen und...« Ihre Stimme
verlor sich. »Und als du mir dann später immer noch nicht verziehen hast,
dachte ich, du hättest ein posttraumatisches Streßsyndrom. Nichts
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