Es gibt kein nächstes Mal
herein, und Staub tanzte vor ihren Augen.
Anfangs glaubte sie, allein zu sein. Es war heiß und still. Es herrschte
vollständige Ruhe im Haus. Unter ihren Brüsten und Achseln bildete sich Schweiß
und durchnäßte die dünne Baumwolle ihres Sommerkleides. Sie versuchte, die Tür
zum Garten zu öffnen, doch die Tür klemmte.
Sie glaubte, im oberen Stockwerk ein Geräusch zu
hören. Die Treppenstufen quietschten, als sie sich auf Zehenspitzen nach oben
schlich, da sie den Eindringling nicht auf sich aufmerksam machen wollte. Die
Tür zum Zimmer ihrer Eltern stand einen Spalt weit offen. Gemma stieß behutsam
dagegen, doch die Tür flog auf und knallte gegen die Wand. In dem breiten
Doppelbett lag Estella und schlief. Ein schmales Rinnsal von Erbrochenem floß
aus ihrem Mund. Im Zimmer roch es nach Fäulnis. Plötzlich schlug Estella die
Augen auf und lächelte. Ihre Haut war grau und so dünn wie Papier.
»Du bist tot«, sagte Gemma zu ihr.
Estellas Augen schlossen sich wieder.
Das Geräusch kam aus einem anderen Zimmer, weiter
hinten im Korridor. Es klang wie das Quietschen eines alten Schaukelstuhls.
Gemma schlich sich durch die Dunkelheit. Sie öffnete die Tür zu Daisys Zimmer.
Von einigen der Poster hatten sich die Klebeecken gelöst, und sie flatterten in
dem Luftzug. Das Zimmer war leer.
Sie blieb zitternd vor ihrem eigenen
Schlafzimmer stehen, und dann stieß sie die Tür auf.
Oliver lag in ihrem Bett. Sein lockiges dunkles
Haar fächerte sich auf dem rosaweiß geblümten Kissen auf, sein Kopf war
zurückgebogen, und seine Augen blickten ekstatisch zur Decke. Daisy saß auf
ihm, und ihre Füße hatten sich in dem rosaweiß geblümten Bettzeug verfangen.
Sie bewegte sich heftig auf und ab.
Irgendwo tief in ihrer Brust hörte Gemma sich
schreien: »Warum müßt ihr das ausgerechnet in meinem Bett tun?«
Sie schienen sie jedoch nicht zu hören.
Gemma wachte schweißgebadet auf. Die
Einziehdecke mit dem weißen Baumwollbezug fühlte sich klebrig an und war so eng
wie ein Nylonschlafsack. Sie warf die Decke zurück und lag nackt in der Sonne,
die durch das Schlafzimmerfenster strömte. Ein Teil des Schweißes unter ihren
Brüsten verdunstete und verschaffte ihr Kühlung, doch es schien keinerlei Luft
im Zimmer zu sein. Gemma stand auf und öffnete ein Fenster. Die Geräusche, die
vom Markt herüberdrangen, ließen sie deutlich erkennen, daß sie zu lange
geschlafen hatte. Es waren die Geräusche des späteren Vormittags, und der
Geruch nach heißem Fett von dem Laden, der Kebab und Pommes frites verkaufte,
sagte ihr, daß die Mittagessenszeit nahte. Sie zwang sich zu dem Versuch, sich
an ihren Traum zu erinnern. Wenn sie ihn sich eingestand, würde er vielleicht
nicht wiederkehren und endlich aufhören, sie zu verfolgen wie ein Spuk, doch
sie konnte sich nur an den Schmerz des Verrats erinnern, als sie machtlos in
der Tür stand, während ihre Schwester dem Mann sexuellen Genuß verschaffte, den
sie, Gemma, liebte.
Sie hatte geglaubt, wenn sie Daisy wiedersah,
dann würde ihr das dabei helfen, ihre Gefühle an die Oberfläche zu bringen und
den Alptraum zu verbannen. Aber dieser Traum hatte sie nicht etwa losgelassen,
er war nur noch intensiver gewesen. Sie lag schwitzend da und war frustriert
und wütend auf sich selbst. Es hatte keinen Zweck. Sie hatte versucht, Tapeten
auf die Ritzen zu kleben und Daisy zu vergeben, aber es wurde nichts daraus.
Sie würde Daisy wiedersehen und sich ein für allemal mit ihr aussprechen
müssen.
Daisy lag im Bett und hatte sich die Decke bis
zum Kinn hochgezogen. Sie fühlte sich sehr wohl. Sie konnte hören, wie Oliver
in der Küche Orangen auspreßte. Er brachte ihr ein großes Glas. Der Saft nahm
ihr den unangenehmen Geschmack nach Frühlingszwiebeln, den sie im Mund gehabt
hatte. Sie hatten die anderen Anwälte im Pub weitertrinken lassen und waren
nach Chinatown gegangen, um dort etwas zu essen. Oliver war besonders gut in
Form. Daisy wußte, wie sehr es ihn freute, daß sie gekommen war, um ihn nach
der Arbeit zu treffen, obwohl er es nicht in Worte faßte. Er bestellte einen
Taschenkrebs, mit Ingwer und Frühlingszwiebeln gefüllt, und fritierte Austern
mit einem winzigen Schälchen Chilisauce. Der Kellner knallte die Gerichte auf
den Tisch. Er war hochgradig verwirrt, weil sie es abgelehnt hatten, Reis oder
Nudeln zu bestellen. Daisy hatte geglaubt, keinen Hunger zu haben, doch es war
das reinste Vergnügen, das Krebsfleisch aus der Schale zu saugen und
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