Es grünt so grün
schwebte in flaumigen Büscheln wie Löwenzahnsamen oder Distelwolle in unglaublichen Mengen in die Luft, so daß Hunderte von Kilometern weit der Himmel von dieser Wolke, die den Keim des behandelten Grases mit sich trug, verdunkelt wurde. Angesichts dieser Bedrohung war die frühere Angst und Panik unbedeutend. Jetzt war das Vordringen nicht mehr berechenbar oder vorhersehbar; ein Fleck, der bisher als völlig sicher galt, konnte in jeder Sekunde bedroht und angegriffen werden.
Sofort fiel den Menschen das exotische Blumenwachstum ein, das nach dem Luftangriff einige Narben Londons überdeckte, und das üppige, in Hiroshima beobachtete Pflanzenleben. Warum hatten die neunmalklugen Wissenschaftler nicht daran gedacht und diese Erscheinungen in Rechnung gezogen, als die Bombe geworfen wurde? Warum waren sie für diese erkennbare Gefahr blind gewesen? Glücklicherweise wurden Zorn und Entsetzen bald beschwichtigt. Die Beobachter entdeckten, daß die Mutationen steril waren und sich nicht vermehren konnten. Und obwohl die neuen Gewächse sich ausbreiteten und schnell gediehen, fehlte ihnen die Zähigkeit und Widerstandskraft der Elternpflanze. Am Ende verdorrten und schrumpften sie und unterschieden sich schließlich nicht mehr von dem unbehandelten Gras.
Jetzt wurde zum dritten Mal eine Veränderung in dem farbigen Streifen erkannt. Das Grün wurde zu Blau, und die klare Trennungslinie zu dem üppigen Gewächs verschwand, als die blaue Färbung kilometerweit in das Grün ausstrahlte. Der von der Bombe geschaffene öde Fleck wurde überdeckt; die gesamte Pflanzenmasse, Tausende von Quadratkilometern groß, wurde von einer neuen Kraft belebt, so daß im Osten und Süden die wuchernden Ranken vorpreschten, um große neue Geländestreifen einzunehmen und zu besetzen.
Triumphierend geißelte Bruder Paul die Bomberbesatzungen und verlangte Reuebekenntnisse für das gotteslästerliche Tun, um weitere wohlverdiente Strafen abzuwenden. Grollend erinnerten ein oder zwei Zeitungen an Miss Francis’ Warnung. Kirchen öffneten ihre Pforten an besonderen Sühne- und Fasttagen. Aber die meisten Leute empfanden ein allgemeines Gefühl der Erleichterung; die absolute Waffe war eingesetzt worden, das Gras würde sich mit der Zeit erschöpfen; und in der Zwischenzeit waren sie dankbar dafür, daß die Wirkung der Atombombe nicht schlimmer gewesen war. Trotz des großen Rückschlags war die Verfassung des Landes nach dem Abwurf der Bombe besser als vorher.
Mich faszinierte die ganze Episode so sehr, daß ich praktisch den ganzen Tag über am Radio saß, sehr zum Mißvergnügen von Button Fies. Mich interessierte jeder Bericht, jede kleinste Nachricht. Daher hörte ich auch eine Meldung in einer Nachrichtensendung, die wahrscheinlich von den meisten überhört oder lächelnd abgetan wurde. Rotes Ei, das Organ der russischen Geflügelbauern, schrieb in einem Leitartikel, daß „eine gewisse imperialistische Macht, die skrupellos von den technischen Fortschritten der sowjetischen Wissenschaft profitiert, Atomkraft einsetzt und sich damit gegen internationale Gesetze stellt. Dies ist für ein friedliebendes Volk, das ein Sechstel der Erdoberfläche bewohnt, unerträglich, und die Geflügelzüchter des Kollektivs Kleine Rote Feder haben einmütig gegen solche kapitalistische Aggressionen protestiert, die nur gegen die Sowjetunion gerichtet sein kann.“
Am nächsten Tag brachte der Rote Stern einen zustimmenden Beitrag, tags darauf gab die Prawda einen Überblick über die „bedrohliche Situation“. Zwei Tage später widmete Iswestja dem Thema „Erpressung; Peter der Große, Suvarov und imperialistische Verschlagenheit“ einen Artikel. Vierundzwanzig Stunden danach erklärte der Ministerrat der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, daß – ohne sein Zutun – zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion der Kriegszustand herrsche.
39.
Zuerst waren die Menschen völlig ungläubig. Sie konnten sich nicht vorstellen, daß die Rundfunkberichte etwas anderes als ein entsetzlicher Irrtum, eine zufällige, atmosphärisch bedingte Störung waren. Historiker hatten ihnen seit ihrer Schulzeit von der traditionellen russisch-amerikanischen Freundschaft erzählt. Die russische Flotte war 1862 zur Atlantikküste gekommen, um der Ansteckung durch den revolutionären Bazillus zu entgehen, aber die Amerikaner in ihrer Naivität hielten es für eine Geste der Solidarität im Bürgerkrieg. Die kommunistische Partei hatte mit
Weitere Kostenlose Bücher