Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
will. Ich verabschiede mich lieber wieder in die Erinnerung.
Eine Zeit lang beobachte ich sie nur. Sie ist für die Gegend, in der wir uns befinden, eine Spur zu urban angezogen. Für die Großstadt wäre ihr Stil zu ländlich. Die feingliedrigen Hände verraten einen schönen Körper, den sie aber mit ihrer Kleidung nicht besonders betont. Das ändert sich allerdings, als sie etwas später eines der »Girlies« genannten T-Shirts anprobiert, das ihr eigentlich zu klein ist. Sie versucht dann ein größeres von den Hemden mit V-Ausschnitt, obwohl ich ihr nicht dazu rate. Wir führen ein längeres Gespräch über das Konzert, das sie gerade verpasst. Sie habe die Surrealos bereits letztes Jahr in Hannover gesehen. Damals habe die kaum jemand gekannt. Nur so etwa vierzig Leute hätten den Weg in den kleinen Club gefunden. Und wie viele seien das heute in Hildesheim?
»So etwa einhundertzwanzig«, schätze ich.
Sie trägt den Entdeckerstolz im Gesicht, den ein Großteil des Indie-Publikums auszeichnet. Immer geht es darum, der Erste zu sein, der eine neue Band kennen lernt. Wenigstens der Erste in der Peer Group. Sie überlegt, ein T-Shirt zu erstehen, ist sich aber nicht sicher, weil sie schon bei der letzten Tour eins gekauft hat. Die T-Shirts der Band sind ein Verkaufsschlager, weil die psychedelischen Muster auch ohne den Bandschriftzug ziemlich gut aussehen.
Eine Zeit lang geht es um Schnittmuster und Größen. Dann schenkt sie mir ein bezauberndes Lächeln, das eine kleine Zahnlücke offenbart, und fragt, wann ich Feierabend habe. Mir wird klar, dass ich gerade abgeschleppt werde.
»Es ist langweilig«, rutscht mir in der Hamster Bar irgendwann heraus.
»Oh, Entschuldigung, ich kann ja wieder gehen.«
»Ich habe nicht gesagt, dass
du
langweilig bist. Es war nur die Antwort auf deine Frage, wie das Leben so ist. – Herr Ober …!«
Ich bestelle noch etwas zu trinken.
»Weißt du, wir – ich und einige andere –, wir machen seit Jahren das Gleiche«, schiebe ich zur Erklärung nach. »Früher haben wir das mit dem Gefühl getan, jederzeit könnte etwas Aufregendes passieren. Irgendetwas Besonderes, das einen irgendwohin katapultiert, wo man noch nicht war. Jetzt aber ist einfach nichts mehr los. Als ob ein Sumpf austrocknet, auf dem früher die wildesten Kräuter gewachsen sind.«
Mein Exkurs über die sich ändernden Zeiten hat einen peinlich deprimierenden Grundton, einen des Alters und der Verzagtheit, aber Ursula hört mir trotzdem zu. Sie scheint sogar einigermaßen interessiert zu sein. Doch ich finde es irgendwann unhöflich, weiter zu monologisieren. Jetzt ist sie an der Reihe. Ich spiele ihr einen Ball zu und sie beginnt zu erzählen. Es geht wohl um den Film, den sie heute Abend gesehen hat, aber kaum etwas von ihrem Bericht dringt in mein Bewusstsein.
Es gibt eine zweite Flasche Sekt am T-Shirt-Stand und dann noch eine dritte, vielleicht auch eine vierte später im Backstage-Raum, als die Show vorbei und der Merch-Stand der Surrealos bereits in den Bandbus verladen worden ist. Als der Nightliner abfährt, um die Band zum Ort ihrer nächsten Show zu bringen, überredet sie mich noch, etwas trinken zu gehen, und bietet mir für die Nacht ihre Couch an, da mir ja gerade die Übernachtungsmöglichkeit verloren geht. An viel mehr erinnere ich mich eigentlich nicht. Eine beinahe leere Studentenkneipe. Schnapsgläser. Albernheiten. Noch mehr Schnapsgläser und irgendwann später meine Nase in einer Ritze von etwas, das seit zehntausend Hausstaubmilbengenerationen nicht mehr richtig durchgeklopft worden ist: Ursulas Sofa. Da ist er, der Name. Ein eisiger Wind durchweht mich, als ich ihn zum ersten Mal höre, und mir wird anders. Auch jetzt wieder, in der Erinnerung. Ich höre den Namen, und mir wird schlecht. Wann habe ich sie eigentlich danach gefragt? Vielleicht erst, als ich auf ihrem Sofa lag. Haben wir miteinander geschlafen? Ich glaube nicht.
»Ich habe leider vergessen, was du machst.«
»Zu wenig Sport.«
»Nein, ich meine beruflich.«
»Ach so, ich bin so was wie Krankenschwester. Hauptsächlich Altenpflege und so.«
Am nächsten Morgen in Hildesheim steht eine völlig andere Person vor mir. Kalt und unküssbar. Sie ist Krankenschwester, das Grauen im weißen Kittel. Ich kann mir nicht vorstellen, Gefühle für jemanden zu entwickeln, der Gesundheitslatschen trägt. Beim Frühstück und dem anschließenden Abschied gebe ich mich wohl eher kühl. Ich kann dabei in ihren Augen
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