Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
Tanzfläche in die entgegengesetzte Richtung geschoben werde.
Die Wesen um mich herum verwandeln sich in Panther und böse Primaten mit verzerrten Gesichtern. Der Gedanke, dem ich hinterherlaufe, ist triebhaft. Ich werde getrieben von der Hoffnung auf Rettung, aber da ist auch ein ganz konkreter Mensch, der sich vor mir davonmacht. Ich hetze das Wild. Ich habe Witterung aufgenommen und Augenkontakt hergestellt, doch der Faden droht zu reißen. Mein Opfer hat die Lichtung verlassen und zieht sich, ebenfalls einem Instinkt folgend, in den Wald zurück. Ich werfe die Fesseln der Zivilisation ab. Als erstes die Höflichkeit. Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Ich dränge die Wesen zur Seite und bin erstaunt, dass sie sich wehren. Ein Ellenbogen stößt mich grob zurück und erinnert mich daran, dass man einen Kampf auch verlieren kann. Plötzlich taucht das Wild für einen Augenblick wieder auf. Seine hochgewachsene Gestalt hebt sich irgendwo in unmittelbarer Nähe zum Ausgang vom undurchdringlichen Allgemeinen ab. Der Jäger startet zum Sprint und wird kurz darauf niedergestreckt. Irgendjemand findet es lustig, dem besoffenen Schwein ein Bein zu stellen, und ich falle aufs Maul.
In diesem Moment wird mir klar, was alle anderen längst wissen. Mir wird klar, dass ich verloren habe. Sie haben ihn mit ihren feinen Nasen schon wahrgenommen: den Geruch des Verlierers, die Aura desjenigen, der sich auf dem Weg nach unten befindet und den man unbedingt meiden muss, will man nicht selbst in den Mahlstrom gezogen werden. Der Erfolg flieht vor mir, genauso wie er mir früher gefolgt ist. Das Licht ist aus, die Motten verschwinden. Und ich versinke in dieser Bar im Betonboden, in den die Vergangenheit einmassiert ist in einer Mischung aus Kippen, Bier, Kotze und alten Flirts.
Als ich den Weg zu meinem Platz an der Bar wiedergefunden habe, ist der Hocker von jemand anderem besetzt und Ursula verschwunden. Der Mann hinter dem Tresen reicht mir einen Zettel. Ich solle nach Hause gehen, mich ausschlafen und sie irgendwann mal besuchen kommen. Ist sie wirklich fort? Ich suche sie weiter in der Menge. Dann draußen. An der Ecke steht ein Taxi, daneben mein Fahrrad. Schließlich bin ich so weit. Ich nehme das eine und lasse das andere stehen.
6
Es sind nur kleine Einheiten, die jede für sich den Funken des Lebens in sich tragen, aber erst im Verbund, in ihrem Zusammenwirken, zu einem Wunder werden. Zu jenem großen Wunder, das irgendwann in der Lage ist, »Ich« zu sagen und die eigene Existenz zu erkennen. Bei »Ich« handelt es sich eher um eine Aussage, die sich in der Praxis bewährt hat, als um eine wissenschaftlich haltbare Angabe. Eine, die vielleicht auch einfach durch schmerzhafte Erfahrungen mit dem Anderen, dem Außen, entstanden ist. Diese unter Leiden hervorgebrachte, extrem komplexe Verschaltung der Gehirnzellen jedenfalls, nicht ihre Anzahl, ist der Schlüssel dazu. Denn obwohl ein ganzer Haufen dieser Zellen heute Nacht einen qualvollen Tod gestorben sein muss, erwacht nach viel zu kurzem Schlaf endlich doch wieder ein ramponiertes Ich namens Thomas Troppelmann.
Eine ganz kurze Zeit lang hatte ich nicht mehr daran geglaubt, dass das passieren würde. Neben dem Kissen liegt eine hastig aufgerissene Packung Kopfschmerztabletten. Eine umgefallene Flasche Wasser, halb ausgelaufen auf dem Boden neben dem Bett. Fortuna allein hat das Handy gerettet. Um wieder irgendeine Orientierung in Raum und Zeit zu erlangen, greife ich danach, doch es entgleitet mir, als wäre der Fußboden plötzlich schräg und mit Seife eingeschmiert. Irgendetwas in mir ist nicht bereit, diese erneute Demütigung zu ertragen, und ich gleite hinterher. Bei diesem Versuch gerät dann alles ins Wanken. Die Bettdecke, die ich hinter mir her schleife, wirft den Schrank um und dieser eine Stehlampe. Das Bett gerät ebenfalls ins Rutschen. Das Mobiliar und ich versinken in einem großen Loch in der Mitte des Raumes, in dem auch schon das Handy verschwunden ist.
Erst als ich alles, wirklich alles, was je in meinem Körper war, der Kloschüssel übergeben habe, fängt es wieder an, ein Oben und Unten zu geben, verlangsamt die Welt um mich herum ihre Rotationsbewegung. Für eine halbe Stunde sitze ich einfach da, an die Wand gelehnt, und beobachte diese Vorgänge.
Die Hände sind ständig auf der Suche nach Gegenständen. Jeder kleine Handlauf am Rand eines befestigten Weges muss angefasst werden, jeder zweite Baum befühlt. Es gibt tausend
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