Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
einfache Logik. Alle taten das. Alle, die ich kannte. Ich habe oft versucht, ihr das zu erklären, aber sie ließ es nicht gelten.
Ich wette, der große Blonde stammt aus der gleichen Reagenzglasgruppe wie Andrea. Wahrscheinlich verwandeln sie und ihr neuer Typ sich gerade in Kristalle. Ich darf nicht mehr mitspielen, und obwohl ich weiß, dass ich es ohnehin nicht könnte, tut es immer noch weh. Es ist wie eine endlose Abhängigkeit, die nie verschwindet, sondern bestenfalls nach und nach ein wenig verblasst.
Jimi und ich stöckeln auf den Schlittschuhen zurück auf die Eisbahn. Die spiegelglatte weiße Fläche scheint an der Oberfläche abzutauen. Meine Kufen graben tiefe Furchen hinein. Das sollten sie eigentlich nicht tun, die nachfolgenden Läufer könnten sich verletzen, aber ich kann nichts dagegen machen. Die Musik aus den Lautsprechern wird immer scheppriger. Wo ist Jimi hin? Erst nach einer Weile finde ich ihn zwischen all den Leuten wieder. Er zieht seine Bahnen auf einer erstaunlich geraden Spur, ohne dabei einzusinken. Ich wünschte, ich könnte mit ihm mithalten, aber er hängt mich immer wieder ab.
5
Das Büro ist schon verwaist, als ich es gegen 19 Uhr wieder erreiche. Caren ist noch da, hat aber schon ihren Mantel an. Auf meinem Schreibtisch liegt ein Zettel mit einer Telefonnummer. Mir ist flau, und ich beschließe, nach Hause zu gehen. Auf dem Weg kaufe ich mir in einem Asia Imbiss irgendeinen Quatsch zu essen. Als ich zu Hause ankomme, fällt mir auf, dass ich meinen Schlüssel auf dem Schreibtisch liegengelassen habe. Ich kann weder in meine Wohnung noch in das Büro. Mit viel Mühe gelingt es mir, Claudio, der nicht weit entfernt vom Büro wohnt, zu überreden, den Schlüssel zu holen und ihn mit einem Taxi zu mir zu schicken. Es dauert ungefähr eine halbe Stunde. Währenddessen sitze ich im Treppenhaus, esse mit den Fingern gebratene Nudeln mit Sojabohnen und warte.
Da wo wir herkommen, ist das Leben nicht gesund. Deshalb müssen wir jeden Tag in den Wald. Dort ist alles grün. Manchmal blinzelt die Sonne durch das Laubdach. Wir laufen endlos durch den Wald. Ich stelle mir vor, dass wir auf der Stelle stehen und sich nur der Boden unter uns bewegt, dass wir mit unseren Füßen den ganzen Erdball drehen. Wohin geht es eigentlich? Hauptsächlich geht es weiter. Immer nur weiter. Manchmal um eine Biegung herum. Nicht selten über eine Brücke. In den Bächen fließt klares Wasser, in dem keine Fische zu sehen sind.
Nicht ein Staubkorn hat sich in der Wohnung bewegt, seit ich sie heute Morgen verlassen habe. Ich werde auch jetzt nicht lange hierbleiben. Nachher will ich noch in die Hamster Bar, auch wenn ich mir eigentlich vorgenommen habe, es nicht zu tun. Es ist ein völlig neues Gefühl, so viel Zeit zu haben. Vor einem halben Jahr gab es immerhin noch so viel Stress, dass man den ganzen Tag nicht dazu kam, darüber nachzudenken, dass das, was wir tun, keine Zukunft hat. Auch wenn das Einfach-weiter-Arbeiten möglicherweise die Probleme verschärft hat, schwächte es die Symptome ab und befreite uns von der Existenzangst. Aus meiner jetzigen Perspektive möchte ich das im Nachhinein eine schöne Zeit nennen. Wie schön, wie einfach wäre die Situation, wenn man sich durch Arbeit retten könnte! Wenn man wie ein Pferd den Karren aus dem Dreck ziehen könnte.
Doch abgesehen davon, dass mir alles zu unwichtig geworden ist, ist mir auch alles zu viel. Zu viel Kleinkram, der nichts bringt, und zu viel Andrea im Kopf, als dass ich mich auf den Kleinkram konzentrieren könnte. In einer Umgebung, in der alle kämpfen müssen, ist es immer das Schlimmste, gar nicht kämpfen zu wollen.
Dabei ist es eigentlich gar nicht so schwer, den finanziellen Überblick zu behalten. Die Kontobewegungen der letzten paar Monate, die sich online verfolgen lassen, haben eine einfache Geschichte zu erzählen. Eine höchst überflüssige Abwärtsspirale, in Gang gesetzt von dem größten Trottel der Gemeinde: Thomas Troppelmann. Okay, das mit der Steuer war mir bekannt. Die eintönigen Schreiben des Finanzamts sind die einzigen, die ich eigentlich immer zu öffnen versuche. Nach einem kurzem Telefonat war mir klar, dass es zwar etwas dauern würde, dass wir das Geld, das uns vorsichtshalber schon mal vom Konto abgezogen worden war, aber wohl zurückbekämen, wenn wir die entsprechenden Nachweise lieferten. Allerdings führte das daraus resultierende Liquiditätsproblem dazu, dass die Abbuchung der Miete von der
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