Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
Leben zur Hölle. Kein Wort rede ich mit dem.«
»Was ist denn los?«
»Heute hat er angefangen, seine Räume zu renovieren, damit er gleich mit unseren weitermachen kann, wenn wir draußen sind. Der ganze Flur ist mit Möbeln vollgestellt. Ich musste vorhin eine Viertelstunde warten, um überhaupt ins Studio zu kommen. Außerdem behauptet er jetzt, die Renovierung wäre fällig geworden, weil wir beim Herumtragen der Instrumente die Tapeten zerschlissen hätten. Er will uns die Kosten dafür von der Kaution abziehen.«
»Du meinst mir.«
»Ich habe ihm gesagt: Wir haben noch nicht mal Wasser hier, warum sollte ich da überhaupt noch Miete bezahlen? Und ich wüsste ja auch nicht, ob du für die Wasserrechnung aufgekommen bist.«
»Daran kann es nicht liegen, ich zahle für euch alle … Eh, Dimitri, bist du noch dran?«
Ich nehme sein verächtliches Grunzen als positive Bestätigung. Es vermischt sich mit den Studiogeräuschen im Hintergrund zu einem sonderbaren Soundtrack.
»Es kann auch sein, dass es irgendein Versorgungsproblem mit dem Wasser gibt. Ich bin vorhin an einer riesigen Baustelle vorbeigefahren. Technisches Hilfswerk, Wasserwerke und so. Gleich hinter den Elbbrücken, auf der Veddel. Vielleicht gibt es ja wirklich ein technisches Problem oder so … Dimitri?«
»Sag mal, spinnst du? Das ist ja wohl die blödeste Ausrede, die ich je gehört habe. Und wo bist du überhaupt? Wir haben hier ernsthafte Probleme, und du bist nicht da. Haust du jetzt ab oder was? Wann kommst du wieder?«
Ich habe einen Stein vom Weg aufgehoben. Ein Stein ist kleiner als ein Ast, man kann ihn besser verstecken und heimlich befühlen. Irgendetwas muss man befühlen, wenn man die ganze Zeit immer nur einen Fuß vor den anderen setzt. Ich halte den Stein vor meinen Bauch, drehe und betrachte ihn. Dann stecke ich ihn in die Hosentasche und versuche mir seine Form wieder vor Augen zu rufen. Er hat eine kleine Ausbuchtung und darunter eine Delle. Die Delle ist auf der einen Seite glatt. Auf der anderen Seite kann man eine Kante spüren, wenn man will. Meine Finger wollen immer wieder.
Wir sind wohl geraume Zeit durch die Landschaft gerast, als der Zug plötzlich vor einer grauen Betonwand hält, dabei sind wir doch eben erst losgefahren. Ich bin irritiert. Hat es vor dem Halt eine Ansage gegeben?
Als mir klar wird, dass wir in Kassel sind, packe ich eilig meine Sachen zusammen und verlasse den Zug. Ich will mir draußen mal die Beine vertreten und irgendwo was essen gehen. Erst als ich auf dem Bahnsteig stehe und sich die Zugtüren zischend schließen, bemerke ich, dass ich mein Handy-Aufladegerät auf meinem Platz vergessen habe. Ein weiterer Grund, nicht mehr ans Telefon zu gehen.
Ich beschließe, ein bisschen in der Bahnhofsgegend herumzulaufen, bis ich was zu essen finde. Dabei produziert mein Rollkoffer mit seinen harten Rollen, von denen eine immer klemmt, einen so ohrenbetäubenden Lärm, dass ich schon nach kurzer Zeit der Meinung bin, die halbe Stadt dreht sich nach mir um.
In einem italienischen Schnellrestaurant warte ich eine halbe Stunde, bis ich eine Pizza Margherita bestellen kann. Anschließend dauert es fast genauso lange, bis sie mir serviert wird. Ich nutze die Zeit, um nun doch kurz die Textnachrichten zu überfliegen, die inzwischen auf meinem Handy gelandet sind. Die meisten hätten mich früher beunruhigt. Neben mehreren Aufforderungen von Dimitri (»Ruf mich sofort zurück, Du Arsch!«) finden sich vor allem Zahlungserinnerungen und Absagen von Aufträgen. Ich verbuche alles unter »Anhaltend schlechte Wirtschaftslage«, als wäre das die Schlagzeile der Zeitung, die auf dem Klo gelegen hat und die ich nicht gelesen habe.
Genau in diesem Moment macht das Handy sein übliches »Pling«, um anzuzeigen, dass eine weitere Nachricht eingetroffen ist: »Ich langweile mich auch – LiGru – Ursula.«
Als ich wieder am Bahnsteig bin und herausgefunden habe, wann die Züge fahren, texte ich zurück: »Ankomme 15 : 15 Uhr Bahnhof Hildesheim.« Als Antwort bekomme ich einen Smiley und die Wegbeschreibung zu ihrer Wohnung.
9
Ursula wohnt in einem dieser ehemaligen Neubaugebiete. Die steingewordenen Sparpläne der kleinen bis mittleren Verdiener der Wirtschaftswunderjahre stehen in Reihen um sauber angelegte Rundwege herum. Jedes Haus beherbergt ein bis zwei Familien und besitzt einen Garten. Ob dort eine junge oder alte Familie wohnt, kann man daran ablesen, ob und welche Spielgeräte in dem jeweiligen
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