Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
Nachricht, als hätte er erraten, was ich vorhabe. Vielleicht steht er gerade nach einem DJ -Job am Tresen und hört sich an, wie irgendjemand seinen Frust über mich ablässt.
In einer weit ausholenden Schleife windet sich der Zug einen Hügel hinauf. Dann gibt es einen Ruck, und das leichte Rattern der Räder setzt mit einem Mal aus. Der ganze Waggon fängt an zu schweben. Schon erscheinen die Baumwipfel der Lüneburger Heide in den Zugfenstern, nach kurzer Zeit blicken wir wie aus einem startenden Flugzeug auf sie hinab. Als in einer Kurve der ganze vordere Zugteil in mein Blickfeld gerät, erkenne ich, dass wir an einem Seil durch die Luft gezogen werden. Wir haben einen herrlichen Blick auf eine riesige Lichtung im Wald, wo ein paar Panzer ein Rennen fahren. Der Zug schwebt die steil abfallenden Hänge der Lüneburger Schweiz hinauf, als wären diese nur eine kleine Anhebung in einer x-beliebigen Mittelgebirgslandschaft. Mit der neuen Seilbahntechnik sei das kein Problem mehr, erklärt mir ein Prospekt, der auf der Rückseite des Sitzes vor mir klebt. Ich könne auf den nächsten Seiten alles darüber erfahren, wenn ich weiterlesen würde, und das wolle ich doch unbedingt, oder etwa nicht? Der Prospekt klingt fordernd. Also lese ich pflichtbewusst die Selbstbeweihräucherung der Seilbahnerbauer zu Ende. Die einzigartige Leistung offenbare sich vor allem an der Gleisentnahmestelle, die eine Sternstunde der Ingenieurskunst sei. Nie zuvor sei ein so komplexes Problem wie die Entnahme eines ganzen Zuges inklusive der Lokomotive aus dem Gleisbett mit so einfachen Mitteln gelöst worden. Dies habe vor allem den Vorteil, dass hier in punkto Sicherheit keine Abstriche gemacht werden müssten und die ganze Technik zudem extrem wartungsarm sei. Für die Reisenden sei das so, als würde der Zug einfach abheben und sich in ein Flugzeug verwandeln. Die Fahrtzeit durch das unwegsame Gelände der Lüneburger Schweiz verkürze sich dadurch um beinahe eine Stunde.
Nach einiger Zeit weckt mich der Geruch verbrennender Bremsbeläge aus meinem Traum. Als ich die Augen öffne, dröhnt es in meinem Kopf, und ich finde mich im ICE »Unser Dorf soll schöner werden« der zweitneuesten Generation wieder. Grau, Blau, Magenta.
Andrea, Matthias, Cole.
Tropical Design.
Alles ist wieder da.
Der morgendliche Nebel hat sich gelichtet. Auf den Feldern und Wiesen sind schwarze Vögel zu sehen, die eifrig herumhüpfen, als wären sie gerade dabei, heimlich ein Krähenreich zu errichten. Sie sind intelligent. Sie können fliegen. Warum sollten sie uns nicht überlegen sein? Jeden Winter arbeiten sie weiter an ihrem Projekt. Wenn es einmal zu einer Eiszeit kommt, wird sich das Krähenreich vielleicht die Welt der Menschen einverleiben. Erst werden die schwarzen Vögel die toten Tiere fressen, dann die toten Menschen und schließlich die lebenden.
»Hallo?«
»Hallo!«
Undeutliches Genuschel, entweder reine Nachlässigkeit oder ein Aussetzer im Funkverkehr. Jedenfalls kann ich nicht sagen, wer dran ist.
»Wer spricht?«
»Dimitri hier, du Saftschachtel!«
Saftschachtel? Ich mache Geräusche, um ihn zu verwirren und mich für die Beleidigung zu rächen. Eine Art Prusten, gefolgt von röchelndem Einatmen. Einige der Mitreisenden drehen sich zu mir um. Eine Geste soll sie beruhigen: Mein ausgestreckter Zeigefinger kreist um die linke Schläfe (»Ein Verrückter, verstehen Sie?«). Die Leute wenden sich gleichgültig wieder ab.
»Troppelmann, ich weiß, dass du dran bist!«
»Für dich immer noch Thomas, bitte.«
»Wo ist der Schlüssel?«
»Welcher Schlüssel?«
»Der für den Keller, Mann.«
»Hinter der Tür links, an dem Schlüsselbrett. Es ist der mit dem Michael-Jackson-Anhänger.«
»Willst du nicht wissen, was los ist?«
»Nö, es interessiert mich nicht.«
Im Hintergrund höre ich jetzt die vertrauten Geräusche aus dem Büro. Wummernde Musik hinter einer Wand. Mein Gedächtnis ergänzt den Geruch nach kaltem Rauch und abgestandenem Bier. Studiomief.
»Wir haben kein Wasser mehr. Irgendjemand muss den Haupthahn abgedreht haben, oder du hast die Rechnung nicht bezahlt.«
»Wie ich schon sagte, es interessiert mich nicht. Im übrigen kannst du dich bei Problemen mit unserem Mietobjekt immer an unseren freundlichen Hausmeister wenden.«
»Wenn du nicht so ein Trottel wärst, Troppelmann, hätte ich überhaupt kein Problem mit dem. Aber da du es leider versaut hast, sitzt der Typ jetzt am längeren Hebel und macht uns das
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