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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Spilker
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in der Wegelagerer einem den Geruch von Brötchen, Kaffee und Pizza ins Gesicht pusten und stumpfäugige Verkäufer ihre Ware feilbieten. Die eigentliche Hölle ist der Bahnsteig selbst. Es ist viel zu früh, es ist kalt, und die Menschen sehen scheiße aus. Unterschiedlich scheiße, aber scheiße. Die einen haben das Schlimmste schon hinter sich, die anderen haben es noch vor sich. Einige werden vielleicht gerade ihrer letzten Illusionen beraubt und müssen sich eine neue Version der Wirklichkeit zurechtlegen, weil sich die alte verabschiedet hat. Zufälligerweise gehöre auch ich zu dieser Gruppe.
    Was für ein lebensfeindlicher Morgen. Die Kälte rieselt von oben herab und zieht unbarmherzig durch die breiten Gänge. Niemand will hier sein, alles ist trostloser Transit. Auch der Abgestumpfteste schlägt den Kragen hoch und zieht den Mantel enger zu. Weg hier, so schnell es geht! Schnell irgendwo ankommen, und sei es nur an einem weiteren Ort des Transits! Sitzt man erst mal in einem Zug, befindet man sich vorläufig in Sicherheit. Ich schaue auf die Anzeigetafel, um mir ein Ziel auszusuchen. München via Würzburg – warum nicht? Es ist sowieso egal.
    In der Schlange vor den Ticketautomaten spielt sich eine seltsame Szene ab. Ein distinguierter älterer Herr führt eine längere Auseinandersetzung mit einem Untermenü des Fahrkartencomputers. Er schaut sich alles sehr genau an und überlegt gründlich, bevor er irgendeinen Knopf drückt. Seine ausgesuchte Kleidung und seine Körpersprache deuten darauf hin, dass er es gewohnt ist, die Dinge mit Sorgfalt und ohne Eile zu erledigen. Währenddessen erleidet ein hinter ihm wartender Reisender, der wohl in letzter Minute sein Ticket kaufen muss, beinahe einen Nervenzusammenbruch. Als er die Chance wittert, am anderen Automaten schneller dranzukommen, wechselt er im letzten Moment die Schlange, wo er dann allerdings hinter einer jungen Frau steht, die auch nicht schneller ist, weil sie sich vorher nicht überlegt hat, wohin sie fahren will und mit wie vielen Personen. Als der Reisende entnervt zurückwechselt, hat sich schon jemand anderes auf seine alte Position begeben, sodass er nun noch später an sein Ticket kommen wird. Als Loop in der kosmischen Programmierung wird er jetzt möglicherweise für immer zwischen den beiden Automaten gefangen bleiben.
    Während überall Informationen und Ansagen herumschwirren, bleibt die Unsicherheit über Verspätungen und Fahrplanänderungen eine ständige Stressquelle. Alle, die hier ein- oder umsteigen, ziehen in den Kampf um die wenigen freien Plätze im Waggon, die nach einem Ritual vergeben werden, das viel mit den fundamentalen Gesetzen der Wildnis zu tun hat. Ein Chaos, das meist irgendwann zur Ordnung führt, allerdings unter Aufbietung einer großen Menge Energie.
    Eine Textnachricht von Matthias. Ich frage mich, ob er noch im Nachtleben unterwegs ist oder schon wieder seinem Tagesgeschäft nachgeht. Es kommt mir vor, als wäre er immer wach, rund um die Uhr.
    Ich ignoriere die SMS . Sie interessiert mich nicht. Ich steige in den ICE »Unser Dorf soll schöner werden« nach München.

    Die Stadt verharmlost die Arbeitswirklichkeit der Menschen zu einer Kulisse. Wir fahren mitten durch sie hindurch. Man kann den Hafen erkennen, gleich darauf geht es über die Elbbrücken. Der Zug drosselt seine Geschwindigkeit, wir kommen beinahe zum Stehen. Ein riesiger Konvoi, der aus Lastwagen des Technischen Hilfswerks und der Wasserwerke besteht, steht so ungünstig da, dass wir ganz langsam vorbeifahren müssen. Arbeiter sind dabei, eine Baustelle zu errichten. Sie tragen orangerote Warnwesten, die in der grauen Novemberlandschaft wie eine traurige Erinnerung an den Frühling wirken.
    Wir erreichen Hamburg-Harburg mit Verspätung, und es fühlt sich an, als hätten wir schon etwas geschafft. Weitere Menschen steigen ein. Einige, die es sich schon bequem gemacht haben, müssen ihre Plätze wieder aufgeben, weil die Inhaber einer gültigen Reservierungsbestätigung »ab Hamburg« erst hier zusteigen. Ein älterer Herr mit weißem Rauschebart protestiert: Der ganze Zug sei frei. Aber man bleibt unbarmherzig. Auf einem anderen Platz muss ein Geschäftsmann sein schon komplett aufgebautes Büro – Laptop, Smartphone und ein Haufen Papiere – wieder demontieren. Er tut das routiniert und gewissermaßen nebenbei beim Telefonieren.
    »Alter, am besten tauchst Du erst mal ein paar Tage unter«, textet Matthias in seiner nächsten

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