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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Spilker
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das Fenster und verdunkele den Raum.
    Wenn man lange genug ins Dunkel schaut, passen sich die Augen an. Die Pupillen erweitern sich und lassen das restliche, immer noch vorhandene Licht an die Netzhaut. Ich muss weiter verdunkeln, um dem Prozess entgegenzuwirken. Bald meine ich es geschafft zu haben. Der Raum ist annähernd verschwunden. Es gibt keinen Raum mehr. Zur Sicherheit ziehe ich mir noch eine Decke über den Kopf. Jetzt ist es wirklich finster. Weiches, warmes Dunkel anstelle der lärmenden, schrillgrellen Tageswelt. Hier kommt die Zärtlichkeit der Nacht, die ich noch mehr herbeisehne als nächtliche Zärtlichkeiten. Ich könnte noch einen Wasserhahn aufdrehen. Ein paar dumpfe Stimmen meine ich ohnehin zu hören, damit wäre dann die Wiederherstellung eines vorgeburtlichen Zustands perfekt.
    Kann man so etwas nicht auch einfach irgendwo kaufen? Wenn es nicht mehr weitergeht, kann man dann irgendwie zurück? »Sorry, Leute, ich habe es mir überlegt, ich möchte doch lieber nicht.«
I would prefer not to
. Wenn ich mich lange genug in einem Raum aufhalte, der nicht mehr da ist, könnte das ja auch bedeuten, dass ich selbst irgendwann verschwinde. Was in der frühen Kindheit Ängste waren, kommt jetzt als Hoffnung zurück. Das Muster der Tapete im Kinderzimmer. Das riesige alte Bett mit den dreigeteilten Sprungfedermatratzen.
    Der Waschraum ist riesig. Anstelle von einzelnen Becken gibt es eine große Wanne aus Metall, über der zahlreiche Wasserhähne angebracht sind. Man legt seine Kulturtasche auf ein langes Brett, das unter dem Spiegel an der Wand befestigt ist. Die Handtücher hängen auf der anderen Seite des Raumes. Das Wasser wird nicht richtig warm. Wasserschlachten sind verboten.
    Irgendwann spät in der Nacht wache ich auf. Die Wände kommen näher. Ich wälze mich und meine Gedanken hin und her, immer im Kreis. Ich muss hier raus. Ich stehe auf, schaue in den Spiegel, ziehe mir Schuhe und Jacke an und verlasse das Haus.
    Es ist vier Uhr morgens. Ich laufe in den Park, um Luft zu schnappen. Während ich das tue, wachen die Natursachen auf. Einige Vögel haben schon vor einer halben Stunde angefangen, jetzt kommen auch noch die Säugetiere hinzu. Die Eichhörnchen sind in den letzten Jahren immer zutraulicher geworden. Neulich hätte ich beinahe eines, das gerade aus dem Supermarkt kam und an der Ampel wartete, mit dem Fahrrad überfahren. Man kann ja froh sein, dass es hier kaum Wildschweine und Füchse gibt. Eine Krähe pickt an einer toten Ratte herum, und eine der Enten scheint über Nacht erfroren zu sein. An der Ecke rennt ein Mann über die Straße und blickt gehetzt um sich. Er trägt einen langen Ledermantel und hat ein verschweißtes Paket Wasserflaschen unter dem Arm.
    Noch hat hier niemand was weggeräumt. Um diese Zeit ist es ruhig und schön. Bald werden die hysterischen Spätgebärenden kommen, um ihre Einzelkinder in den Luxuskindergarten zu bringen, der sich ganz in der Nähe befindet. Dann ist aber Schluss mit lustig. Dem armen Parkwächter werden die herumliegenden Säugetierleichen um die Ohren gehauen werden.
    Aber dann werde ich längst nicht mehr hier sein, denke ich. Und während ich das denke, spüre ich, wie mein Beinwerk schwergängiger wird. Statt dass die Füße ganz normal aufsetzen, sinken sie mit jedem Schritt etwas tiefer in den Boden, und ich bekomme sie nur mit Mühe wieder heraus. Eine ganze Weile geht das so, jeder Schritt wird ein bisschen schwerer. Es hängen Bleigewichte an meinen Füßen, die immer weniger zu schleppen sind, und auch die den Weg begleitenden Geräusche ändern sich. Aus dem üblichen »Tapp-Tapp« auf Asphalt wird ein »Plock-Plock« und später, jetzt, ein tiefes »Flump«, als ob ich mich durch Morast bewege.
    Ast gesägt, Mast gelegt, passt, der trägt.
    Ich erkenne eine Tendenz und bleibe lieber erst mal stehen, um nicht vor dem Amtsgericht zu versacken. Zum Glück treten die Naturgesetze wieder in Kraft, bevor ich hysterisch werden kann. Wenn das noch einmal passiert, komme ich nicht wieder heraus, dessen bin ich mir sicher.
    Ich muss irgendwo hin. Es muss irgendetwas geben, das mich zumindest vorläufig aus der akuten Gefahr holt. Vielleicht sollte ich auf Jimi hören oder Ursula. Aber meinte die nicht, ich sollte am besten einfach mal zur Kur? Was für ein hoffnungsloser, dümmlicher Rat.
    Eine Stunde später stehe ich mit meinem Koffer am Hauptbahnhof, die Mütze tief ins Gesicht gezogen.

8
    Die Bahnhofshalle ist nur eine Vorhölle,

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