Es ist ja so einfach
Las ihn noch einmal und rief: »Hört mal zu, bitte! Das ist ein Phantast, dessen Unterschrift ich überhaupt nicht kenne. Er schreibt: »Entschuldigen Sie bitte, daß ich auf Ihren netten Brief erst jetzt antworte, aber ich war auswärts, als er eintraf. Es freut mich, zu hören, daß Sie am 8. in Elscombe sein werden, und wir treffen uns dann, wie Sie vorschlagen, im Teeraum der ,Silver Urn’. Ich werde um 1 Uhr dort sein und Sie an der Farbe des von Ihnen beschriebenen Kleides erkennen. Ich hoffe, daß sich aus unserer Begegnung viel Schönes entwickelt. Ihr ergebener Leonard West.< Ich kenne gar keinen Leonard West und weiß nicht, was er mit einem Brief von mir und der Verabredung im Tee-raum meint. Der muß einen Vogel haben.«
Ich ließ mir den Brief geben und las ihn, während Peter achselzuckend sagte: »Vermutlich eine falsche Adresse — falls du nicht heimliche Verabredungen getroffen hast. Elscombe? Das ist doch da, wo die Auktion stattfindet? Also pack aus, Karnickel.«
»Ach, so ‘was Albernes! Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich keinen Leonard West kenne. Habe auch mit keiner Menschenseele eine Verabredung, bin noch nie in Elscombe gewesen und wußte bis heute morgen noch nichts von der Existenz dieses Ortes.«
Inzwischen hatte ich die Lösung des Rätsels gefunden. »Der Brief ist gar nicht für dich, Trina. Hier, das soll kein T, sondern ein I sein. Also Iris Macleod. Natürlich! Für die ist er.«
»Au Backe, wie furchtbar. Einer ihrer Verehrer schreibt ihr, und ich mache den Brief auf und lese ihn.«
Peter schien keine Skrupel zu haben, als er ihr den Brief aus der Hand nahm und ihn studierte. »Ich wette, daß diese dumme Gans auf eine Heiratsannonce geantwortet hat. Hört zu. >Ich werde Sie an der Farbe des von Ihnen beschriebenen Kleides erkennen.< Also hat er sie nie gesehen. >Ich hoffe, daß sich aus unserer Begegnung viel Schönes entwickelt.< Mit anderen Worten: daß sie zusammenpassen, klar? Lieber Gott, dieses Weib muß noch verrückter sein, als wir annahmen.«
»Oh, das will ich nicht sagen«, widersprach ich, weil ich glaubte, die nicht anwesende Iris verteidigen zu müssen. »Ich habe von sehr glücklichen Ehen gehört, die auf diesem Wege zustande gekommen sind. Und der Mann schreibt doch recht nett. Vielleicht führt es zu etwas.«
»Es wird zu gar nichts führen«, sagte Peter, »wenn ihr nicht fix den Brief umadressiert, sonst verpaßt Iris noch ihr Rendezvous.« Ich suchte schnell die Adresse hervor, wobei mir einfiel, daß Elscombe nicht weit von ihrem Wohnort entfernt war.
»Das also hatte sie gemeint, als sie damals von einer Namensänderung sprach«, sagte ich zu Trina. »Und deshalb hat sie mir gewiß auch ihre Heimatadresse gegeben, weil sie damit rechnete, daß dieser Mann hierher schrieb; und ich sollte ihr die Post nachschicken.« Ich setzte ein paar Zeilen hinzu, in denen ich bat, Trinas Irrtum zu entschuldigen. Hoffentlich käme der Brief noch rechtzeitig hin. Das allerdings erschien mir fraglich, weil unsere Post langsam arbeitete. Wir hatten auch wirklich Pech, denn der Postbote vergaß, den Kasten zu leeren. Als Mr. Boyd bei mir erschien und mich fragte, ob vielleicht wichtige Geschäftsbriefe von ihm nicht rechtzeitig befördert worden seien, dachte ich wieder an den Brief für Iris und fühlte mich so sehr in ihrer Schuld, daß ich ein teures Ferngespräch anmeldete, um sie direkt über den Irrtum aufzuklären.
Als von der Vermittlung die Auskunft >Teilnehmer antwortet nicht< kam, spürte ich die schwer bestimmbare Erleichterung, die der Mensch empfindet, wenn das Schicksal eingreift, um ihm Ausgaben zu ersparen, die er nur widerwillig macht. Peter und Trina, die um den Brief von Leonard West schon eine romantische Liebesgeschichte gesponnen hatten — drängten mich, erneut ein Ferngespräch anzumelden. Am folgenden Morgen und Abend versuchte ich es noch mal, aber erfolglos. Vielleicht war Iris wieder auf Reisen. Ich überlegte, ob sie wohl viele solcher Briefe beantwortete.
Trina sagte plötzlich: »Helen, der Mann schrieb doch, daß sie sich um eins treffen wollten. Und am Tage der Auktion! Laß uns doch dann in den Teeraum dort gehen und ihn mal beäugen, ja?«
Aber das war der Augenblick, in dem ich trotz meiner >unersättlichen Neugier< eine Schranke zog. Ich hielt es für besser, sich da nicht einzumischen. »Nein, das käme mir vor wie Spionage«, sagte ich. »Und erst recht unfein, nachdem du, wenn auch versehentlich, ihren Brief geöffnet
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