Es ist niemals vorbei
Hotelsilos hochgezogen wurden
.
Während des zweistündigen Fluges nach Mexiko schloss ich die Augen und versuchte ein wenig zu schlafen. Aber ein ums andere Mal tauchte Ethans Bild vor mir auf, und ich sah dieses Lächeln, das alles andere überstrahlt hatte. Ich hatte ihn gemocht, und ich hatte ihm gewünscht, dass er Florida hinter sich ließ und Pianist wurde. Ohne Gel und Farbe in den Haaren und ohne Make-up. Ich hatte ihm angeboten, dass er mich in New York anrufen könne. Was er nun nie tun würde, denn Ethan war tot. Bei dem Gedanken zog sich mein Herz zusammen.
Ethan war tot.
So viele Tote.
Auch das ging mir immer wieder durch den Sinn. Nur den Zusammenhang zwischen diesen Todesfällen, den konnte ich beim besten Willen nicht erkennen.
Schließlich gab ich es auf, einschlafen zu wollen. Stattdessen schaute ich aus dem Fenster und beobachtete, wie wir uns der Südspitze Mexikos näherten, einem Flickenteppich aus grünen, violetten und braunen Rechtecken. Dann senkte sich die Maschine, und ich erkannte Felder, Wiesen und Palmenwälder. Ich war noch nie in Mexiko gewesen, aber es kam mir auf den ersten Blick rauer und ursprünglicher als Florida vor. Als ich endlich das Flughafengebäude verließ, merkte ich, dass auch die Luft feuchter und heißer war.
In Florida war es im Januar warm wie in einem New Yorker Juni gewesen, hier herrschte die drückende Hitze eines New Yorker Augusts. Benommen zerrte ich den Koffer hinter mir hinaus in den Brutofen und wurde von einer Schar Männer in schwarzen Hosen und weißen Hemden bestürmt.
«Taxi! Taxi?» Jeder versuchte den anderen zu überschreien.
«Taxi, Lady. Kommen Sie. Wohin wollen Sie?», rief mir einer von ihnen zu. Ich entschied mich für ihn. Vielleicht war es auch umgekehrt, mir war das einerlei. Ich wollte nur dieser Hitze entkommen –
und ich wollte Mac finden
.
«Playa del Carmen.»
«Folgen Sie mir.»
Der Mann lotste mich über den Bürgersteig zu einem Parkplatz und einem Wagen.
«Einsteigen», trug er mir auf. Offenbar war er nicht der Fahrer, sondern der Schlepper des Taxiunternehmens. Eilig umrundete er den Wagen und besprach sich mit dem Mann hinter dem Steuer. Ich hoffte, dass er ihm auch tatsächlich mein Ziel nannte.
«Vielen Dank.» Ich reichte ihm zwei Dollar. Er bedankte sich und kehrte zu der Meute zurück.
Ich hievte meinen Koffer selbst in den Wagen, glitt auf den Rücksitz und atmete erleichtert auf, denn der Innenraum war klimatisiert. «Playa del Carmen, bitte.» Mein Fahrer nickte und fuhr los.
Eine Landschaft, die in der Hitze flirrte, zog an mir vorbei, versengte Streifen Gras und Hotelklötze mit riesigen, teils grotesk gestalteten Eingängen. Hotel an Hotel reihte sich entlang der linken Straßenseite. Vermutlich lag dahinter das Meer. Auf einer Website hatte ich gelesen, dass Playa del Carmen zweiundvierzig Meilen südlich von Cancún lag und die Schnellstraße direkt zum Hotel Riviera Maya führte. Die Fahrtzeit dorthin schätzte ich auf eine Stunde.
Je länger die Fahrt dauerte, desto aufgeregter wurde ich. Wenn Mac tatsächlich Dylan war und noch lebte, dann war ich jetzt auf dem Weg zu ihm! Fast glaubte ich ihn schon zu sehen, zu spüren und zu riechen – den würzig-süßen Duft nach Fichtennadelseife, die er immer benutzte, und den moschusartigen Geruch seines Schweißes an jenem letzten Morgen, als wir zusammen im Bett gewesen waren.
Eine Viertelstunde später wurde der Wagen langsamer und bog von der Schnellstraße ab. Das war seltsam.
«Wir fahren nach Playa del Carmen», erinnerte ich meinen Fahrer.
Er antwortete nicht und fuhr weiter über eine schmale Straße, die jetzt zu einem Feldweg wurde. Die Reifen wirbelten Staub auf.
«Playa del Carmen», wiederholte ich. Der Name des Ortes hieß auf Englisch und Spanisch gleich, ein Missverständnis konnte es gar nicht geben.
In meinem Rücken verlor sich die Schnellstraße in der flimmernden Hitze. Plötzlich packte mich die Panik.
«Drehen Sie sofort um!»
Der Mann stieg auf die Bremse. Der Wagen scherte aus, schleuderte und blieb in einer hohen Staubwolke stehen, die sich nur langsam senkte.
«Was fällt Ihnen ein?», schrie ich. «Was soll das?»
Er drehte sich um, und ich sah sein Gesicht. Das Gesicht, das ich schon einmal gesehen hatte. Denn vor mir saß der Mexikaner mit den buschigen Brauen. Der Mann aus dem Hotelaufzug des Collins, der mich so wutentbrannt angestiert hatte. Derselbe, der mit Ethan gestritten – und ihn
vermutlich umgebracht
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