Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es ist niemals vorbei

Es ist niemals vorbei

Titel: Es ist niemals vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Pepper
Vom Netzwerk:
seine richtigen Eltern nicht erinnern.
    Unwillkürlich quollen meine Augen über, und die Tränen sickerten in meine Augenbinde. Meine Nase schwoll zu, und ich merkte, dass ich kurz davor war zu ersticken. Ein grauenhaftes Gefühl: Man muss erkennen, dass der Wunsch und die Fähigkeit zu überleben zwei ganz verschiedene Dinge sind.
     
    Als mir der Knebel abgerissen wurde, flog mein Kopf zurück, mein Mund brannte wie Feuer. Ich rang nach Atem. Feuchte, modrige Luft strömte in meine Lunge. Dann wurde ich hochgezerrt und auf die Knie gestoßen. Irgendjemand machte sich an den Fesseln an meinen Handgelenken im Rücken zu schaffen. Ich wurde mir einer Stimme bewusst. Eines Flüsterns.
    «Rasch!»
    Ein Mann. Aber mit wem sprach er? Ich spitzte die Ohren. Da war keine zweite Stimme.
    Die Fessel löste sich. Blut schoss in meine Handgelenke. Ich versuchte, meine Finger zu dehnen und die Hände auszuschütteln, aber sie blieben taub. Als Nächstes wurden meine Füße von den Fesseln befreit. Wieder dieser Stoß Wärme, gefolgt von Taubheit und Kribbeln.
    «Versuch dich zu bewegen.»
    Der Mann sprach mit mir, mit sonst niemandem. Es gab nur uns beide. Panik und Entsetzen durchfluteten mich, strömten durch meine Adern und erreichten mein Gehirn. Mit einem Mal war ich hellwach.
    «Versuch aufzustehen.»
    Er sprach Englisch. Ohne spanischen Akzent.
Es war eine Stimme, die ich kannte.
    Zitternd setzte ich mich auf und zog die Augenbinde ab. Aus einer offenen Luke über mir fiel Sonnenlicht herein und blendete meine Augen. Ich blinzelte – und dann sah ich ihn.
    Dylan. Gebräunt und schlank. Er beugte sich zu mir herab und sagte: «Komm, mach schon. Steh auf!»
    Ich versuchte, mein Gehirn zum Denken zu bewegen, aber es war wie erstarrt.
    «Mac?»
    «Beeil dich!»
    «Was?»
    «Komm, wir müssen los!» Sein Tonfall war drängend. Ich gab mir einen Ruck.
    Aber zuerst wollte ich mir Klarheit verschaffen. War das Mac, der Mann, dem ich vertraut hatte, oder Dylan, der Doppelgänger, den ich nicht kannte?
    «Wer
sind
Sie?»
    Dylan/Mac zog mich auf die Beine, stemmte mich hoch und bugsierte mich durch die Luke hinaus ins Freie. Ich krabbelte weiter und hörte, dass er mir folgte. Es war ein glühend heißer Tag, die Sonne eine grellweiß leuchtende Scheibe. Hinter mir wurde die Klappe der Luke zugetreten. Ich sah mich um und erkannte, dass ich in einer Höhle unter der Erde gewesen war. Dort hat man mich verstaut, vielleicht zur späteren Verwendung, ohne Rücksicht darauf, ob ich überleben würde oder nicht. Ich war lebendig begraben gewesen.
    Gierig atmete ich die frische salzige Luft ein und füllte meine Lunge mit Sauerstoff. Wir befanden uns an einem sandigen Feldweg, einer Sackgasse, inmitten wildwuchernder ausgedörrter Büsche und haushoher Palmen, so still und unberührt, dass es mir vorkam, als hätten die Maya noch diese Schneise geschlagen. Doch dann entdeckte ich am Ende des Weges eine grobgezimmerte Bretterhütte mit Schilfdach.
    Mein Retter packte meinen Arm und versuchte, mich zu einem verrosteten, ehemals weißen Wagen zu zerren.
    «Halt, ich weiß ja nicht mal, wer Sie sind!»
    «Dafür ist jetzt keine Zeit, Karin.» Er mahlte mit dem Kiefer. Das hatte er früher nicht getan.
Denn es war Mac, dessen war ich mir sicher.
Über die Schulter hinweg warf er einen Blick zu der Hütte hinüber. Sein gebräuntes Gesicht war schweißüberströmt. Er kam mir vor wie ein Fremder, den ich kannte.
    Ich riss meinen Arm los. «Sag endlich, was hier gespielt wird.»
    Er wollte mich in Richtung Wagen schieben. «Nicht jetzt!»
    «Doch.»
    «Warum hörst du –?»
    Ich holte aus und schlug ihm so fest ins Gesicht, dass meine Handfläche brannte. In der Stille klang es wie ein Schuss. Ich fand es regelrecht befreiend.
Mac lebte. Das bedeutete, er hatte mich verlassen.
Noch einmal schlug ich zu und sah zu, wie sich seine Wange rot färbte.
    «Mein Plan war, dich umzubringen, wenn ich dich finde, aber ich habe nie richtig geglaubt, dass du noch leben könntest. Ich wollte nicht glauben, dass du mich – uns – einfach verlassen würdest. Ich habe dich geliebt.»
    «Karin –»
    «Du hast mir das Herz gebrochen!»
    Ein heißer Wind blies Sand in mein Gesicht, der an meiner verschwitzten Haut haften blieb. Ich machte kehrt und rannte fort – weg von ihm –
weg von allem
. Am anderen Ende des Feldwegs musste es eine Hauptstraße geben. Irgendwo musste doch eine Fluchtmöglichkeit sein.
    Ich hörte, dass er mir nachlief und

Weitere Kostenlose Bücher