Es klopft
ihre Tochter erhofften. Giulianos Eltern waren in den Fünfzigerjahren in die Schweiz eingewandert, sein Vater hatte als Mechaniker bei Bührle gearbeitet, seine Mutter war Angestellte eines Putzinstituts, und sie waren stolz darauf gewesen, dass sie ihren beiden Söhnen ein Studium ermöglichen konnten. Julia hatte Giuliano bei der Organisation des Uni-Balls kennen
gelernt, bei der sie ein paarmal mitgemacht hatte. Als er hörte, dass sie Romanistik studierte, redete er, der sonst den normalsten Zürcher Dialekt sprach, nur noch italienisch mit ihr, und was zuerst nichts anderes gewesen war als eine Neckerei, eine kleine Pose, wurde dann zu einer festen Form ihrer Liebe, es hatte für sie etwas Verschworenes, dieser Wechsel der Sprache, sobald sie ihren Freund traf, als beträte sie eine Welt, die nur ihm und ihr gehörte. Es fiel ihr dann auch nicht leicht, das Italienische nach der Trennung wieder als bloßes Studienobjekt anzuschauen, dessen linguistische und literarische Geheimnisse es zu ergründen galt.
Und die Geschichte mit dem Mann davor, ihrem ersten intimen Freund, war eher ein Feuer aus gegenseitiger sexueller Neugier gewesen, entfacht auf der Maturreise in Südfrankreich, das nachher eine Weile weiterbrannte, aber von ihr wieder rechtzeitig gelöscht wurde, als sie merkte, dass es zur Gewohnheit zu werden drohte. Heinz mit den großen dunklen Augen und dem runden Kopf ging dann nach Freiburg und studierte Geschichte.
Auf Manuel hatten ihre Eltern von Anfang an gut reagiert. Ein Mann, der nicht nur Arzt war, sondern auch schweizerischer Herkunft, und dessen Vater auch schon ein Arzt schweizerischer Herkunft war, da hatte ihr Vater, der Rechtsanwalt war, keine Fragen mehr, einzig die Mutter fragte sie einmal, als es ans Heiraten ging, ob er denn wohl genügend Zeit für die Familie haben werde. Dafür, hatte Julia ihr damals geantwortet, werde sie sorgen, und für sie sei es genauso eine Frage, ob sie selbst genügend Zeit für die Familie haben werde. Dies hatte sie auch deshalb gesagt, weil ihre Mutter ihren Beruf als Lehrerin seinerzeit aufgegeben hatte, um sich
der Betreuung ihrer beiden Kinder und ihres Gemahls zu widmen, der etwa so wenig Zeit für seine Familie hatte, wie sie das von ihrem künftigen Schwiegersohn befürchtete.
Allerdings, jetzt, wo die Kinder klein waren, war sie unglaublich froh um ihre Mutter, zu der sie die beiden bringen konnte, wenn sie zur Schule musste. Fällanden lag sozusagen am Weg nach Wetzikon, und Thomas und Mirjam waren gerne bei ihrer Großmutter, welche aus Julias ehemaligem Zimmer ein Kinderzimmer gemacht hatte. Das Bettchen für Mirjam war das alte Kinderbettchen von Julia und ihrem Bruder. Thomas hingegen benutzte Julias früheres Bett, ein schweres Nussbaumerbstück, das sie immer gehasst hatte und an dessen Rahmen ihm nun seine Großmutter jeweils einen Schutz gegen das Hinausfallen befestigte, den sie ihrerseits von ihrer Großmutter her besaß, eine Bettschere. Wenn Thomas erzählte, dass er bei seiner Großmutter geschlafen hatte, die er, auf Grund des ersten einleuchtenden Erklärungsversuchs ihres Verwandtschaftsgrades Mamimami nannte, vergaß er nie zu erwähnen: »Mit Bettscher.«
Vorgestern hatte Thomas bei seiner Großmutter eine Anzahl Zeichnungen gemacht, welche als drastische Darstellungen von Unfällen kenntlich waren. Ein Auto prallte auf einen wirren Knäuel auf, während Räder und ein Kopffüßler durch die Luft wirbelten. Auf einem andern Blatt lag der Kopffüßler am Boden, und daneben stand ein Männchen und schaute konsterniert auf die Bescherung. Ein weiteres zeigte eine Ambulanz, denn nichts anderes meinte die große blaue Kugel auf dem Viereck mit zwei Rädern, und im Innern lag der Kopffüßler dahingestreckt.
Seltsam, dass Manuel Julia gebeten hatte, ihren Eltern
nichts von seinem Unfall zu sagen. Aber die gezeichneten Protokolle ihres Dreijährigen ließen ihr keine andere Wahl, was Manuel sehr verstimmte, als sie ihm davon erzählte.
Überhaupt war er seltsam in diesen Tagen. Er sei, hatte er ihr gestern Nacht gesagt, noch nicht in der Stimmung, als sie ihn im Bett zu sich herüberziehen wollte. Sonst war es eher sie, die aus purer Erschöpfung auch schon mal nein gesagt hatte. Um so mehr freute sie sich dann, wenn sie wieder Lust hatte, denn sie wollte etwas haben davon, genau soviel wie er, sie war ungern die, bei der er einfach abladen konnte.
Oder war er vielleicht doch zu schnell gefahren und fühlte sich deswegen
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