Es klopft
und Manuel hatte sich vor dieser Trennung gefürchtet. Als er ihr beim Abschied sagte, er hoffe nicht, dass sie einen spanischen Linguisten heirate, war das mehr als ein Scherz, denn sie kannte die Geschichte von Maja.
Tatsächlich machte ihr dort ein Privatdozent den Hof, mit dem sie sogar ein bißchen flirtete, aber es war ihr auch klar geworden, wie sehr sie an Manuel hing, und das musste in ihren Briefen gestanden haben, an die sie sich nicht mehr genau erinnerte. War das schon so lange her? Oder sollte sie ihn bitten, ihr einmal einen dieser Briefe vorzulesen? Hatte sie dort nicht auch Gedichte zitiert? Oder Lieder? Ay, vida mía, ay, mi amor?
Plötzlich hatte sie große Hoffnungen auf einen Gefühlsausbruch Manuels. Sie waren immer noch ein Ehepaar, das war nicht selbstverständlich, wenn sie ihren Bekanntenkreis und den Manuels durchging. Wie viele wollten es ein zweites Mal versuchen, waren hinter einem größeren Glück her, einem Glück, das sich nach der Trennung oft als Fiktion erwies. Und irgendeinmal waren sie wieder allein und fanden niemanden mehr und riefen dort an, wo sie früher zu Hause waren, und verstanden nicht, weshalb da kein Trost kam.
Manchmal, wenn sie an einem Anlass mit vielen Menschen war, etwa an einem Ärztebankett mit Manuel, und sie alle sitzen sah, gepflegt, respektabel, vernünftig und angegraut, nur funktionstüchtig dank streng geordneten Tagesabläufen in Praxis, Spital und Operationssaal, dachte sie, wie viele klandestine Glücksritter und Abenteurer wohl dabei sein mochten, und versuchte sie an ihren Gesten zu erkennen, an der Art, wie sie ein Lachsbrötchen in ihren Mund schoben und dabei einen zufälligen Blick auf die junge Frau eines Kollegen warfen, und sie stellte sie sich so lange mit zerzausten Haaren, hinuntergezerrten Krawattenknöpfen und Lippenstiftspuren im Gesicht vor, bis sie lachen musste. Eigentlich traute sie keinem, und eigentlich hielt sie alles für möglich.
Ob ihr Manuel treu gewesen war all die Jahre? Sie war nicht sicher, und es war heute auch nicht mehr entscheidend. Eine längere Beziehung allerdings wäre ihr nicht entgangen, dessen war sie gewiss, aber einen Ausrutscher traute sie auch ihm zu. Eine Zeit lang hatte sie mit Bestürzung gesehen, wie viele schöne Frauen ihn grüßten, wenn sie zusammen im Theater oder in der Oper waren. Seit er seine Praxis an die Gladbachstraße am Zürichberg verlegt hatte, waren unter
seinen Patienten auch bekannte Bühnenleute; Schauspielerinnen, Schauspieler, Sänger und Sängerinnen kamen mit ihren Heiserkeiten und Indispositionen zu ihm, und mehr als einmal war er in der Pause in eine Garderobe gerufen worden, um versagende Stimmbänder zu retten. Da gab es Dankbarkeit und Vertrautheit in Frauenblicken, welche Julia an seiner Seite nur wie eine Statistin streiften.
Als sie einmal von der Premièrenfeier einer Oper nach Hause fuhren, sagte sie ihm halb seufzend, halb schnippisch, sie habe gar nicht gewusst, mit wie vielen Stars er bekannt sei.
»Mein größter Star bist du«, gab er sofort zur Antwort, und es klang, wie manches, was er sagte, sehr leicht, aber auch sehr wahr.
»Oh«, sagte sie nur und legte ihre Hand auf sein Knie, und von dem Moment an beschloss sie, sich über sie beide keine Sorgen zu machen.
Er war, das glaubte sie immer wieder zu spüren, loyal. Er war ein Ritter, kein Glücksritter, und so nannte sie ihn auch, wenn sie etwas von ihm wollte. »Mein Ritter«, sagte sie dann, »ich brauche Ihre Hilfe.«
»Gleich hole ich mein Pferd«, pflegte er zu entgegnen.
Und sie? War sie ihm treu geblieben?
Sie war kein Star, aber sie war eine anziehende Frau. Damals, im Winterklassenlager, in dem sie für eine erkrankte Kollegin eingesprungen war, hatten sie am letzten Abend alle getanzt, auch Lehrer und Lehrerinnen, und auf einmal hatte sie sich so schwerelos und unternehmungslustig gefühlt wie ein junges Mädchen und hatte sich von Guido, dem Mathematiker, derart elektrisieren lassen, dass nachher alles wie
von selbst gegangen war auf ihrem Zimmer. Sie hatten sich bloß versichert, dass sie beide verheiratet waren und sich nur diese eine Nacht herausnehmen wollten, und waren dann mit einer Neugier und Ausgelassenheit übereinander hergefallen, die Julia in größtes Erstaunen versetzt hatte.
Es war bei dieser einen Nacht geblieben, weder sie noch Guido machten später einen Wiederaufnahmeversuch, und - sie hatte Manuel nie davon erzählt. Diese Nacht, hatte sie sich gesagt, diese Nacht
Weitere Kostenlose Bücher