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Es klopft

Es klopft

Titel: Es klopft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Hohler
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dass sie in Basel wohnte, schließlich wurden Bekennerschreiben auch auf Hauptpostämtern eingeworfen.
    Manuel erschrak, als er merkte, dass er dabei war, Eva Wolf zu suchen. Warnschriften liefen durch seinen Kopf: Nicht suchen, diese Frau! Vergessen, diese Frau! Aus dem Kopf schlagen, diese Frau!
    Er schaute das Foto wieder an. Unverschämt gut sah sie
aus. Keine Frage, dass sie glücklich war, sie wies ihr Kind vor wie eine Beute, die sie dem Leben abgetrotzt hatte. Und das Kind? Zu seiner Beruhigung konnte er keinerlei Ähnlichkeit mit sich selbst erkennen. Thomas etwa hatte angeblich genau seine Augen. Wenigstens war ihm das erspart geblieben, dass irgendwo eine Kopie von ihm herumlief.
    Und woher wusste er überhaupt, dass das Baby von ihm war? War das der ganze Beweis, ein anonymer Brief mit einem Foto? Der Gedanke irritierte ihn, er hörte wieder den andern sprechen: Sie ist ein Luder, sie wirft sich jedem an den Hals, nach dir kam der Nächste dran, ihr Kick ist das Männerverführen unter schwersten Bedingungen, dieses Kind hat mehr als einen Vater, und du bist keiner davon.
    Manuel schloss die Augen und ließ sich nochmals die damalige Szene durch den Kopf gehen. Es war nicht einfach ein Schritt ins Unbekannte, es war ein Sprung ins Unmögliche gewesen, er hatte nicht gehandelt, es war mit ihm geschehen. Und wieso hatte er das mit sich machen lassen? Weil die Frau genau das wollte, was sie gesagt hatte. Ein Kind. Und nun hatte sie es. Und er hatte es nicht. Aber es war von ihm, davon war er überzeugt. Diese Frau hatte nicht Theater gespielt, dazu hatte sie zu viel Format.
    Der Brief hier war das letzte Zeichen, das er von ihr erhalten würde, es war die endgültige Erfolgsmeldung, die sie ihm noch schuldig war, aber ab jetzt würde sie ihn aus dem Spiel lassen. Er wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte und dass sie auch nicht eines Tages noch mit Forderungen käme.
    Diese Sicherheit beruhigte und bedrückte ihn zugleich. Es beruhigte ihn im Hinblick darauf, was er sich letzten Sommer
vorgenommen hatte, nämlich Julia nichts zu sagen und das alles als Teil seines eigenen Lebens zu betrachten, das niemanden sonst etwas anging. Es gab ja auch andere Themen, über die sie nicht miteinander redeten, gerade im sexuellen Bereich. Über Selbstbefriedigung etwa hatten sie nie gesprochen, das war ja etwas, was man mit sich selbst machte und das somit zum ausschließlich Eigenen gehörte. Allerdings hatte er vor einem Jahr nicht einfach sich selbst befriedigt, sondern auch eine andere Frau, und zwar in einem Maß, das gerade jene Folgen hatte, die man bei einem Seitensprung gewöhnlich zu verhüten trachtete. Auch das war ihm rückblickend unbegreiflich, dass er sich ungeschützt mit einer unbekannten Frau eingelassen hatte. Was, wenn sie ihn mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hätte? Dann hätte es wohl Julia gegenüber kein Ausweichen gegeben. Aber das war ja nun nicht der Fall gewesen. Was der Fall gewesen war, hatte in diesen Brief gemündet, und Manuel blieb dabei, es gab Dinge, die durfte man für sich behalten, und dieser Brief, beschloss er, gehörte dazu.
    Dann war aber etwas da, das ihn bedrückte, und das war wohl das, dass er keine Beziehung haben durfte zu diesen zwei Leben, die doch mit dem seinen zu tun hatten, dass er sich nicht nach ihnen umdrehen durfte, sie nicht einmal bei ihrem Namen rufen konnte, denn woher wusste er, das war ihm plötzlich in den Sinn gekommen, woher wusste er, ob die lachende Frau mit dem Stirnband wirklich Eva Wolf hieß? Wer es darauf anlegt, sich unauffindbar zu machen, wäre ja naiv, unter dem eigenen Namen aufzutreten, und diese Frau war nicht naiv, es war ihr durchaus zuzutrauen, dass sie sich von Anfang an getarnt hatte.

    Ginge es um einen Mord, wäre eine gute Fahndung sicher in der Lage, die Frau und ihr Kind zu finden, es gab ein Foto, und es gab ein genaues Datum, an dem sie aufgetaucht war, auf jener Tinnitus-Tagung, wo sie aus dem Englischen übersetzt hatte. Höchstwahrscheinlich. Denn auch das schien ihm auf einmal gar nicht mehr so sicher, er hatte sie ja dort nicht gesehen.
    Aber es ging glücklicherweise nicht um Mord, es ging eher um das Gegenteil. Da war kein Leben ausgelöscht, sondern eines in die Welt gesetzt worden, und etwas in ihm schrie nach diesem Leben. Gleichzeitig wusste er, dass er die Warnschriften nicht übersehen durfte, die unablässig in seinem Kopf aufleuchteten: Nicht suchen, diese Frau! Vergessen, diese Frau! Aus dem Kopf

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