Es klopft
Prinzessin nicht. »Ich bin betrogen«, sagt sie, und das Stück ist zu Ende.
Was mochte einen jungen Autor dazu bewogen haben, eine solche Handlung zu erfinden? Mirjam war jetzt 24, Büchner war 23, als er starb.
Eine Satire auf die deutschen Kleinstaaten sei es, hatte sie
in einem Kurzbeschrieb im Internet gelesen. Sie hatte dann versucht, das Stück auf die Schweiz zu beziehen, die ja auch ein Kleinstaat war, und aus dem Idioten von König einen grimmigen Schweizer Bundesrat zu machen, der sich als Autokrat gebärdete, und aus Prinzessin Lena eine Schwarze, über die der Bundesratskönig dann bei der Demaskierung entsetzt wäre, aber irgendwie ging das nicht auf.
Dann hatte sie beschlossen, das Märchenhafte zu betonen. Ihr schwebte als Bühnenbild ein riesiges Buch vor, in dem für jede neue Szene eine Seite umgeblättert würde. Das Buch müsste so beschaffen sein, dass die Schauspieler durch eine Öffnung aus den Seiten heraus auftreten könnten.
Dass das Stück am Anfang von nichts anderem als von der Langeweile erzählt, schien ihr gefährlich. Die Darstellung der Langeweile, befürchtete sie, würde bald selbst langweilig. Deshalb war sie auf die Idee gekommen, die Anfangsdialoge zwischen Leonce und Valerio in einem irren Tempo sprechen zu lassen, während die Szene, in welcher der König auftrat, unendlich langsam gespielt würde.
Ob sie dieses Prinzip durchs ganze Stück beibehalten sollte? Die flüchtigen, schnelllebigen Individuen gegen die Dampfwalze der Staatsgewalt? Oder ob sie das Prinzip nachher umkehren sollte, Prinz und Valerio sprechen langsam, Staatsgewalt spricht schnell? Aber warum?
Prinz, Prinzessin, König, Schloss - früher hatte sie gern über diese Motive phantasiert. Mit 15 oder 16, als sie die Kantonsschule in Küsnacht besuchte, schrieb sie jeden Tag eine Gedichtzeile, und viele davon enthielten Bilder aus der Märchenwelt.
Mirjam stand auf und ging zur Truhe, in der sie als Kind
ihre Spielzeuge und Puppen versorgt hatte und die später der Aufbewahrungsort für ihre Hefte geworden war. Die Truhe war verschlossen, und Mirjam trug den Schlüssel immer bei sich. Mitternacht war vorbei, sie war müde und konnte nicht mehr ernsthaft arbeiten, deshalb wollte sie noch ein bißchen in den Heften blättern, auf der Suche nach ihren versunkenen Königreichen.
Sie hatte sich damals Hefte in verschiedenen Farben gekauft, etwas größer als das A4-Format, mit Umschlägen, die entweder rot, gelb, grün oder blau waren. Mirjam öffnete den Truhendeckel, und da lagen sie. Sie griff sich ein blaues Heft, schlug es auf und las auf der ersten Seite den Satz:
»Ich bin ein Palast.«
Sie erinnerte sich sofort, wann sie das geschrieben hatte. Ihr Vater hatte ihr vorgeworfen, sie kleide sich zu nachlässig und sie gebe nicht Acht auf ihr Äußeres. Sie war gern in Jeans gegangen, die an den Knien zerrissen waren, trug überlange Herrenhemden, die ihr bis über die Pobacken fielen, und zog darüber eine Jacke an. Vor allem das ärgerte ihren Vater, dieses Stück Hemd, das zwischen Jacke und Hose herunterhing. Man könnte meinen, sie käme aus dem Armenhaus, hatte er gesagt. Und da war sie in ihr Zimmer gegangen und hatte diesen Satz geschrieben.
Sie drehte die Seite um.
»Wie viele Zimmer gibt es da, die niemand kennt.«
stand auf der rechten Seite. Die linke war leer.
Sie blätterte weiter und fand Sätze, die sie verwunderten.
»Der König foltert die Prinzessin mit Gesprächen.«
Auch dazu kam ihr der Anlass wieder in den Sinn. Ihr Vater hatte sie gefragt, was sie heute in der Schule gelernt habe,
und sie hatte gesagt, dass Hölderlin mit 32 verrückt geworden sei. Er habe Stimmen gehört. Darauf entgegnete ihr Vater, das Hören von Stimmen, die niemand sonst hört, seien Reize, die der Mensch selbst erzeuge und die vom Nervensystem nicht kontrolliert würden oder so ähnlich, jedenfalls verglich er es mit dem Tinnitus, einer seiner Lieblingskrankheiten. Sie hatte dann darauf beharrt, dass Hölderlin die Stimmen wirklich gehört habe, worauf ihr Vater sagte, er habe sie auch wirklich gehört, nur habe er nicht gewusst, dass er sie selbst produzierte, und hätte ihm sein Arzt gesagt, dass er bloß einen Tinnitus habe, wäre er vielleicht nicht verrückt geworden.
Hölderlins Wahnsinn also nichts anderes als ein Fall für den Ohrenarzt? Solche Gespräche hatten sie aufgebracht, weil sie gegen den Vater nicht ankam und vor allem, weil sie das Gefühl hatte, er wolle sie gar nicht
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