Es klopft
inszenieren?«
»Einen Fosse!«
»Wer ist das?«
»Ein düsterer junger Norweger! Beziehungsdramen und so!« schrie Julia.
Als nun die jungen Leute in einer Ecke zu tanzen begannen und die Musik noch etwas aufdringlicher wurde, zogen es Manuel und Julia vor, die Feier zu verlassen.
»Ich bin ganz glücklich«, sagte Julia, als sie über die Seestraße nach Hause fuhren, »ich hätte nicht gedacht, dass es so gut wird.«
»Hast es ihr nicht zugetraut?«
»Und du? Sag mal ehrlich.«
»Ich war überrascht, ja. Dass sie so souverän mit einem
klassischen Stück umgeht. Dieser Molière kürzlich am Schauspielhaus war doch deutlich weniger gut. Oder täusch ich mich?«
Julia legte ihre Hand auf sein Knie.
»Vielleicht täuschen wir uns beide, weil es unsere Miri ist.«
»Dieser Kerl hat auch Miri zu ihr gesagt.«
»Du meinst Leonce? Vielleicht ist es auch seine Miri, was wissen wir?«
»Den hätt ich lieber nicht als Schwiegersohn.«
»Das macht dir Mühe, nicht, dass unsere Tochter nicht mehr deine Miri ist?«
»Nein, wieso?«, log Manuel. »Sie ist erwachsen. Und diese Inszenierung war ihre Doktorarbeit. Jetzt kann sie ihre Praxis eröffnen.«
»Hoffentlich läuft sie.«
»Immerhin hockt schon ein junger Norweger im Wartezimmer«, sagte Manuel, blinkte nach links und bog in die Spur ein, die nach Erlenbach abbog.
Er zuckte zusammen.
»Ist etwas?« fragte Julia.
»Nein, nein«, sagte Manuel und hielt vor der Ampel, die auf Rot stand.
Aber natürlich war etwas, und zwar immer noch dasselbe.
Es hatte dreimal an sein Innenohr geklopft.
17
T homas saß am späteren Nachmittag in der S-Bahn nach Erlenbach.
Er hatte sich bei den Eltern zum Nachtessen angesagt. Unruhig war er, denn das, worüber er mit seinen Eltern sprechen wollte, war schon schwierig genug, und es war heute von einer neuen Nachricht überschattet worden, oder überstrahlt, er wusste noch nicht, was er davon halten und wie er darauf reagieren sollte, und hatte noch nicht einmal Anna etwas davon gesagt, die er erst morgen sehen würde.
Es war Mitte April, und die Temperatur war fast vorsommerlich. Die Natur lief ihrem eigenen Kalender davon. Apfel- und Birnbäume hatten den Höhepunkt ihrer Blüte schon überschritten, in vielen Gärten entlang der Bahnlinie waren verwelkte Forsythien zu sehen, ein Magnolienbaum verlor gerade seine rosa Blütenblätter, dafür war das Violett der Fliederbüsche und das helle Lila der Zierkirschen überall, und Glyzinien und Clematis eroberten Hausecken und Balkone. Das Kleidungsstück des Tages war das T-Shirt. Auf demjenigen von Thomas explodierte der Mount St. Helens.
Im vergangenen Winter war der Schnee praktisch ausgeblieben. In Pontresina hatte man nur unter massiver Zuhilfenahme von Schneekanonen die Diavolezza-Piste bis zur Talstation führen können, einige Langlaufloipen zogen sich als Kunstschneestreifen durch segantinibraune Wiesen, und das Tourismus-Büro organisierte Wanderungen mit Grilladen
vor hoch gelegenen Alphütten, die sonst geschlossen waren. Trotzdem wurden viele Buchungen rückgängig gemacht, die Hotelbranche jammerte, die Zahlen der Abonnementsverkäufe der Bergbahnen wurden herumgeboten wie eine Katastrophenmeldung, einzig die Hallenbäder waren mit ihren Umsätzen zufrieden.
All die Plakate, mit denen für die Wintersportgebiete geworben worden war und auf denen sich Snowboarder vor gleißenden Bergketten aus stiebendem Pulverschnee in die Luft erhoben oder Skifahrer an jungfräulichen Hängen ihre Spuren zogen, hatten sich als Lügen erwiesen, denn es fehlte dazu eine Kleinigkeit, und das war der Rohstoff für den Wintersport, der Schnee. Bis Weihnachten müsse es einfach schneien, hatte Anfang Dezember ein Kurdirektor in einem Interview gesagt, als stelle er der Natur ein Ultimatum. Aber es hatte weder bis Weihnachten geschneit noch bis Ostern, die eben vorbei waren. Damit das Lauberhornrennen in Wengen durchgeführt werden konnte, hatte man anderthalb Tonnen Kunstdünger in den Kunstschnee gemischt, um ihn haltbarer zu machen. Jeder Landwirt, der eine solche Menge auf dieser Fläche ausgebracht hätte, wäre dafür gebüßt worden.
Je länger Thomas Umweltnaturwissenschaften studierte, desto weniger verstand er die Menschen. Die Fakten waren seit Jahren bekannt, aber niemand wollte wirklich etwas unternehmen, weder im privaten noch im öffentlichen Leben. In der Arktis ertranken bereits Eisbären, weil sie kein Packeis mehr fanden, das sie trug. Man war hierzulande gern
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