Es muss nicht immer Grappa sein
zwanzig. Groß, aber zu mager, um wirklich attraktiv zu sein. Dunkles, sehr kurzes Haar und große braune Augen.
»Hallo«, sagte ich. »Sie warten auf mich?«
»Frau Grappa?«
»In der Tat. Man sieht selten, dass jemand den Bodo tatsächlich liest. Die meisten kaufen ihn nur, um die Leute zu unterstützen. Interessieren Sie sich für die Fragen der sozial Benachteiligten?«
Er lächelte offen und sympathisch. »In dieser Welt gibt es ganz viele Dinge, um die sich viel zu wenige Menschen kümmern.«
»Das ist wohl wahr. Kann ich Ihnen bei einer solchen Sache helfen?«
»Darum bin ich nicht hier. Ich bin der Enkel.«
»Der Enkel?«
»Adrian Schöderlapp. Ich habe Ihren Artikel über meine Oma gelesen.«
Ich setzte mich. »Gut, dass Sie sich melden. Wo ist Ihr Bruder?«
»Welcher Bruder?«
»Der Kioskmensch beim Haus Ihrer Oma hat von zwei Enkeln gesprochen.«
Er schüttelte den Kopf. »Mag sein, aber es gibt nur mich. Und ich habe meine Großmutter schon zwei Jahre lang nicht mehr gesehen.«
»Warum?«
»Wir verstanden uns nicht gut.«
»Warum sind Sie hier?«
»Sehe ich aus, als ob ich mit einer russischen Geldeintreiberfirma zusammenarbeite?« Seine braunen Augen verrieten Ärger.
»Das habe ich nicht behauptet, ich habe nur das geschrieben, was die Nachbarn gesagt haben. Aber es ist gut, dass Sie gekommen sind. Ich würde gern mehr über Ihre Großmutter wissen. Was war sie für ein Mensch?«
Adrian lachte bitter. »Sie hat allen etwas vorgespielt. Mein Vater war ihr Sohn, aber sie hat sich nie um ihn gekümmert. Mit sechzehn ist er abgehauen.«
»Ihre Oma kommt aus Russland?«
»Aus der Ukraine – um genau zu sein. Deutschstämmig. Irgendwann ist sie dann nach Deutschland übergesiedelt. Wann, weiß ich nicht. Mein Vater hat mir erst vor etwa drei Jahren erzählt, dass meine Großmutter überhaupt noch lebt.«
»Und Ihre Mutter?«
»Meine Eltern hatten beide mit ihr gebrochen. Aber ich wollte sie natürlich kennenlernen. Wie man sich das so vorstellt, wenn man als Kind die richtig guten Omas bei den anderen erlebt hat. Und das selbst niemals hatte. Wissen Sie, was ich meine?«
Ich nickte. »Ja, die Oma, die einem ein Pflaster aufs Knie klebt, wenn man hingefallen ist. Die mal einen Fünfer außerhalb des Taschengeldes springen lässt und die einen tröstet, wenn das Zeugnis miserabel ist.«
»Ja, genau. Ich bekam also heraus, wo sie wohnte, und fuhr hin.«
»Zu der Wohnung nach Bierstadt?«
»Das Haus, in dem sie gefunden wurde. Ich klingelte und sie öffnete mir. Sie war nicht allein. Aus den Räumen kam laute Musik. Und sie stand in der Tür, völlig betrunken. Dann tauchten ein paar Männer auf, genauso besoffen wie sie. Sie fragte mich, was ich wollte, und ich sagte ihr, dass ich ihr Enkel sei. Sie hatte eine merkwürdig helle Stimme. Die Kerle verhöhnten mich und hielten mich für einen neuen Liebhaber meiner Oma. Daraufhin bin ich wieder abgehauen.«
»Und Sie haben nie wieder den Versuch gemacht, Kontakt aufzunehmen?«
»Doch, habe ich. Kurze Zeit später bin ich noch mal hin. Aber erst, als ich sicher war, dass sie keinen Besuch hatte.«
Er stockte.
»Wollen Sie einen Kaffee?«
Er wollte. Auf dem Weg zur Maschine fragte ich mich, ob er wirklich nur gekommen war, um nicht mit den Inkasso -Leuten verwechselt zu werden. Und ob die Großmutter ihm tatsächlich so egal war.
»Bei zweiten Mal ließ sie mich eintreten. Ich war natürlich zurückhaltend, aber sie war ganz freundlich. Unsere erste Begegnung hatte sie wohl vergessen. Sie wirkte ganz anders als an jenem Abend. Damals hatte sie ein Kleid mit tiefem Ausschnitt an und Stöckelschuhe. Nun wirkte sie wirklich wie eine Großmutter auf mich.«
»Vielleicht war sie es ja gar nicht an dem ersten Abend«, wandte ich ein.
»Doch. Sie sprach mit derselben hohen, schrillen Stimme.«
»Wie ging der Besuch aus?«
»Ich habe ihr erst mal erzählt, dass Vater vor Kurzem gestorben war. Sie hat das aber einfach nur zur Kenntnis genommen. Ich wunderte mich, dass in Küche und Flur jede Menge Kartons herumstanden. Und Zigarettenstangen ohne Ende. Als sie uns etwas zu trinken holte, habe ich in einen Karton geschaut. Er war bis oben voller Kaviardosen. Ich hab wohl einen Laut von mir gegeben, denn sie stand plötzlich neben mir.«
»Was passierte dann?«
»Sie wollte unbedingt, dass ich niemandem etwas sage. In dem Moment klingelte es an der Wohnungstür und sie kriegte Panik. Ich wollte gehen, aber sie flehte mich an, dazubleiben
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