Es muss nicht immer Grappa sein
der Pressestelle, Frau Grappa. Das dürfte Ihnen doch nicht neu sein.«
»So ein Arsch«, stellte ich fest, nachdem sich die beiden auf den Weg zu einem frei gewordenen Tisch gemacht hatten.
»Du entsprichst wohl nicht seinem Frauenbild«, grinste Harras. »Schön, dass es dir nicht besser geht als mir. Sag mal, war Kleist nicht ein Dichter? Frag ihn doch mal, ob er mit ihm verwandt ist. Dann beginnt er vielleicht, dich zu mögen.«
»Erstens: Ob der mich mag oder nicht, Baby, ist mir so was von wurscht. Zweitens: Sein Frauenbild ist mir piepegal. Drittens: Es gibt einen Dichter, der heißt aber von Kleist.«
»Aber er sieht nicht übel aus. Du stehst doch auf große Männer.«
»Ich stehe auf nette Männer«, widersprach ich.
»Und warum stehst du dann nicht auf mich?«
»Simon! Das hatten wir doch schon. Manchmal passt es halt nicht.«
»Ich brauch noch ein Bier.«
»Und ich einen Wein.«
Während die Kellnerin unsere Bestellung aufnahm, blickte ich unauffällig zum Bullentisch. Brinkhoff, der gern und regelmäßig einen hob, saß vor einem müden Glas Mineralwasser. Kleist hatte Tee bestellt. Auf die Bierstädter Mordkommission kamen freudlose Zeiten zu.
Die Frau im Mann
»In der Kantine sitzt einer und wartet auf dich.« So begrüßte mich Sekretärin Sarah am nächsten Morgen.
»Einer?«
»Ja. Ein Mann.«
»Jung, alt, groß, klein, hübsch, hässlich?«
Sarah überlegte. »Na ja. Hübsch ist er schon, aber nicht deine Altersklasse.«
»Was will er?«
Sie zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Frag ihn doch selber.«
»Weißt du was, Sarah? In jedem anderen Betrieb fragen die Sekretärinnen die Besucher nach ihrem Begehr, nur in diesem Schuhkarton klappt das nicht. Warum eigentlich?«
»Ich habe weiß Gott andere Probleme.«
»Und welche? Außer deiner Haarfarbe und den Klamotten, die du dir kaufen willst?«, fragte ich.
»Kannst du dich noch an meinen Exmann erinnern?« In ihren Augen standen plötzlich Tränen.
»Allerdings«, antwortete ich. »Das Letzte, was du mir von ihm erzählt hast, war, dass er eine Frau aus Dunkeldeutschland kennen- und lieben gelernt und dich verlassen hat. Sag bloß, der kommt jetzt zurück?«
»Nein. Schlimmer.«
»Ist er tot?«
»Er will sich zur Frau umoperieren lassen«, schrillte Sarah. »Und er heißt nicht mehr Lothar, sondern nennt sich Priscilla-Anemone.«
»Dann könnt ihr ja gute Freundinnen werden«, gluckste ich.
»Aber das Schlimmste ist«, weinte sie, »dass er eine Homepage eingerichtet hat. Im Internet. Mit einem Blog. Und alle können nachlesen, wie weit er ist. Dass er zeitlebens im falschen Körper steckte, dass unsere Ehe eine Katastrophe war und dass er erst jetzt die Sexualität entdeckt.«
»Mach dir doch nichts draus«, versuchte ich, Sarah zu trösten. »Du bist ihn ja zum Glück los.«
»Er hat ein Foto von mir auf die Seite gestellt«, schniefte sie. »Muss ich mir das bieten lassen?«
»Das musst du bestimmt nicht«, meinte ich. »Frag doch mal den Verlagsanwalt.«
»Damit der ganze Laden über mich lacht?«
»Ich werde mich für dich erkundigen. Es gibt bestimmt einen Weg, ihn zu zwingen, das Bild zu entfernen. Aber jetzt will ich mich mal meinem Besucher widmen.«
»Bitte zu keinem ein Wort, Grappa, ja?«
»Pikante Geheimnisse sind bei mir in den besten Händen«, beruhigte ich die Sekretärin, »schließlich bin ich Journalistin.«
Auf dem Weg in die Kantine begegnete mir Harras. »Alles gut überstanden?«, fragte er.
»Klar. Der Taxifahrer hat mich brav abgeliefert. Und auf dem Weg zu meinem Haus gab es eine Alkoholkontrolle. Ich hatte tatsächlich den siebten Sinn. Das war bestimmt dieser Kotzbrocken Kleist.«
Harras wirkte skeptisch. »Der hat bei dir verschissen, was? Weißt du eigentlich schon, dass Sarahs Ex jetzt Priscilla-Anemone heißt?«
»Sie hat es mir grad erzählt. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit.«
»Der Typ hat sie doch immer wieder mal in einen Swingerclub geschleppt«, erinnerte sich Harras. »Wie kann einer rumvögeln und dann plötzlich die Straßenseite wechseln?«
»Vielleicht gibt es öffentliche Zuschüsse oder EU-Beihilfen für so was«, meinte ich. »Im Abgreifen von Geldern war der Kerl schon früher einsame Spitze.«
Ich sagte Ciao und betrat die Kantine. Mein Besucher war noch da – zumindest glaubte ich, dass es sich dabei um den jungen Mann handelte, der an dem Tisch am Fenster saß und versunken in der örtlichen Obdachlosen-Postille Bodo las. Ich schätzte ihn auf Mitte
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