Es muss nicht immer Grappa sein
deine Äpfel zu kosen, die schwer die Knospen schon neigen, als die knackige Brust einer erblühenden Frau. Köstlicher dünkt mich dein Herbst als der Frühling der Jungen und wärmer scheint mir dein Winter zu sein als deren sommernder Glanz. «
»Wie schön! Ich wusste gar nicht, dass du dichten kannst.«
»Kann ich auch nicht. Die Frau, an die es gerichtet ist, heißt Philinna und gedichtet wurde es etwa um das Jahr 550 von Paulus Silentarios. Es heißt Warmer Winter. Und was lernen wir daraus, Grappa-Baby?«
»Dass ich mich nicht so anstellen soll und dass das Älterwerden das Natürlichste von der Welt ist.«
»Eins, setzen! Und noch etwas zeigt das Gedicht. Dass wahre Liebe nichts mit Äußerlichkeiten zu tun hat.«
»Dann hätte ich ja das Tiramisu nehmen können!«
»Du glaubst doch nicht, dass ich nicht weiß, dass dein Tartufo da noch viel fetter ist als jedes Tiramisu?«
In unser Lachen hinein klingelte mein Handy.
»Der Abend gestern ist nicht wirklich gut verlaufen«, begann Hauptkommissar Brinkhoff das Gespräch. »Herr Kleist scheint etwas hölzern und unnahbar zu sein.«
»Ach was? Ist mir gar nicht aufgefallen!«
»Als Wiedergutmachung sage ich Ihnen was: Die Hamburger Kollegen haben die Adresse und Telefonnummer von Frau Schöderlapp bei Hein Carstens gefunden. Damit steht fest, dass die beiden Morde miteinander in Verbindung stehen. Wir gehen jetzt der Frage nach, ob der Fotograf Frau Schöderlapp besucht hat.«
»Vielleicht hat Carstens ja die Oma gekillt …«
»Und sich anschließend aus Reue selbst den Baseballschläger über den Kopf gezogen?«
»Nein, natürlich nicht. Aber der Kaviarmafia war es bestimmt nicht recht, dass sie ihr Umschlaglager verloren hat. Und die Art der Hinrichtung lässt auf harte und böse Jungs schließen.«
»Sie haben viel Fantasie, Frau Grappa. Aber natürlich ziehen wir auch diese Möglichkeit in Betracht. Und noch etwas: Herr Kleist wird in zwei Stunden Herrn Gogol vernehmen. Wir sind schon alle ganz gespannt auf seine Verhörtechnik.«
»Das wird bestimmt ganz großes Kino!«, stichelte ich.
Das Siegel der Verschwiegenheit
Die neuen Informationen reichten aus, um die geneigte Leserschaft am nächsten Tag mit einem kurzen Artikel bei Laune zu halten. Außerdem wollte ich Friedemann Kleist ein bisschen ärgern. Jansen gab mir dreißig Zeilen auf der ersten Seite.
Bevor ich zu schreiben anfing, googelte ich nach dem Bullen-Schnösel. An seiner Polizeivita gab es nichts auszusetzen – steile, glatte Karriere. Der Doktortitel, der ihn schmückte, stammte von der juristischen Fakultät. Ich überflog ein paar Dokumente und stieß plötzlich auf seinen Namen in einer Fotocommunity.
»Sieh mal einer an«, sagte ich. Friedemann Kleist knipste und tauschte sich mit anderen Fotografen über technische Daten und Inhalte aus. Um an seine Fotoalben heranzukommen, musste ich mich allerdings anmelden.
Da solche Vorgänge länger dauern können, verschob ich die weitere Recherche zunächst. Welche Motive der Langweiler wohl bevorzugte? Bestimmt Blümchen oder Insekten, dachte ich, oder Architektur. Ich würde es bald wissen.
Jansen wartete auf meinen Artikel und ich machte mich ans Schreiben.
Was wollte toter Fotograf von Kaviar-Oma? – Gibt es eine Verbindung zwischen den Morden? Diese beiden Fragen stellen sich seit gestern die Ermittler in den Mordfällen Schöderlapp und Carstens. Der Anlass für diese Fragen: Der Hamburger Fotograf hatte Schöderlapps Adresse und Telefonnummer gespeichert. Die Polizei versucht nun herauszubekommen, ob sich die beiden in Bierstadt getroffen haben. Über den Grund einer solchen Begegnung kann nur spekuliert werden. Fest steht, dass beide Toten Beziehungen zur ehemaligen Sowjetrepublik hatten. Ekaterina Schöderlapp stammte aus der Ukraine und war Teil eines Rings, der Kaviar schmuggelt. Und Hein Carstens hat Russland häufig bereist. Seine Reportagen beweisen es. Ist Carstens der russischen Kaviarmafia in die Quere gekommen? Wollte Ekaterina Schöderlapp auspacken? Aus Polizeikreisen verlautet, dass jetzt auch Boris Gogol, der Kopf der russischen Gemeinde in Bierstadt, im Visier der Ermittler steht. Er ist gestern vom designierten Leiter der Mordkommission, Dr. jur. Friedemann Kleist, vernommen worden.
Ich vervollständigte den Artikel mit schon Bekanntem zu den Leben von Schöderlapp und Carstens, denn ich konnte nicht davon ausgehen, dass alle Leser die Berichterstattung von Beginn an verfolgt hatten. Schließlich
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