Es muss nicht immer Grappa sein
hat eine dicke Lippe und ihre Frisur kippt gleich zusammen. Mit was für Dilettanten arbeite ich hier eigentlich?« Er drehte sich um, um die Dilettanten zu sehen, und sah uns drei.
»Presseführung, Herr Sedel«, stammelte Poldi. »Wir sind gleich wieder weg.«
»Pause!«, brüllte Herr Sedel. »Zwanzig Minuten. Die Maske soll Frau Militzka ein Pfund Gel ins Haar schmieren und ihn mit dem Abdeckstift behandeln, bis der Mund eine einigermaßen erträgliche Form annimmt. Ich habe keine Lust, für drei Minuten Szene mein halbes Leben zu vergeuden! Meinetwegen schneidet ihm die Unterlippe ab.«
»Schönes Arbeiten hier«, grinste ich. »Darf ich diese Szene in meinem Artikel beschreiben?«
»Das ist mir so egal wie diese ganze dämliche Soap hier«, blaffte Herr Sedel.
Ich gab Pöppelbaum ein Zeichen. Sofort knipste er den Regieraum inklusive aller noch vorhandenen Mitarbeiter. Und Herrn Sedel – in aufgebrachter Pose.
»Herr Sedel ist der Regisseur für die laufende Staffel«, erklärte Poldi. Er schwitzte und schaute unglücklich durch seine beschlagenen Brillengläser. »Nach dreißig Folgen wechselt die Produktion gewöhnlich.«
»Das hat auch seinen tieferen Sinn! Nach dreißig Folgen von diesem Zeug begeht man entweder Selbstmord oder schult um«, stänkerte der Filmkünstler.
»Aber die Fans stehen drauf«, wandte ich ein. » Gute Tage – schlechte Tage ist die Soap mit dem höchsten Marktanteil.«
»Schauen Sie sich das Publikum mal genauer an! Gepiercte Teenies, die keinen zusammenhängenden Satz auf die Reihe kriegen. Langzeitarbeitslose, denen wurscht ist, was aus der Kiste kommt – Hauptsache es zappelt was. Frustrierte Frauen, die ihre Kinder irgendwann in den Kühlschrank stecken. Und nicht zu vergessen die Alten und Kranken, die im Rollstuhl sitzen und nicht mehr an die Fernbedienung herankommen.«
»Ich finde, dass Sie sich sehr geschäftsschädigend verhalten«, muckte Poldi auf. »Und dann noch vor Kollegen der Presse. Ich kann mir nicht denken, dass die Geschäftsleitung dies gutheißen wird.«
»Was willst du denn, Bürschi?« Sedel hatte ein neues Opfer gefunden. »Guck dich doch mal an, du kleine Petze! Wieselst hier hinter jedem her, der einigermaßen wichtig aussieht. Und das Schlimme ist: Du kannst hier nicht weg, weil du nichts gelernt hast. Ich dreh meine zwei Folgen noch ab und aus die Maus. Und dann: nie wieder Soap.«
»Ich bin eigentlich wegen Frau Moreno hier«, versuchte ich, das Thema zu wechseln. »Sie lebt in der Stadt, in der meine Zeitung erscheint. Wird heute noch etwas mit ihr gedreht?«
»Die Moreno ist erst in drei Stunden dran«, antwortete der Regisseur. »Wenn die Szene gleich nicht wieder den Bach runtergeht.«
»Können wir zu ihr gehen?«, fragte ich Poldi-Bürschi mit süßem Lächeln. »Unsere Leser werden begeistert sein, dass wir die berühmte Moreno getroffen haben und mit ihr sprechen konnten.«
Der Praktikant sah die Chance, den sedelschen Verbalinjurien zu entkommen, und meinte: »Sie müsste in ihrer Garderobe sein oder in der Cafeteria.«
»Danke, Herr Sedel, für den Einblick in Ihre Befindlichkeiten«, schwadronierte ich. »Danke auch für Ihre Ehrlichkeit. Darf ich Sie noch etwas fragen?«
»Klar«, brummte er.
»Findet das Kleine Krokodil die Pflanze gegen den Krebs seiner Frau Mutter?«
Pöppelbaum gluckste.
»Der Inhalt künftiger Folgen ist streng geheim«, drängelte sich Poldi wieder in die erste Reihe. »Alle Beteiligten haben sich vertraglich verpflichtet, Stillschweigen zu bewahren.«
Sedel warf einen missbilligenden Blick auf den Praktikanten und schnaubte: »Papperlapapp. Natürlich findet er die Pflanze nicht. Was glauben Sie denn? Wenn wir das machen würden, hätten wir am nächsten Tag das Set voller Krebskranker und den letzten Regenwäldern dieser Welt könnten Sie den Abschiedskuss senden.«
»Aber irgendwas muss das Kleine Krokodil doch erleben in seinem Dschungel.«
»Sie sind wohl vom Fach?«
»Ich verstehe mehr von Dramatik als von Dramaturgie.«
»Ich merke es schon. Natürlich steht der tote Vater plötzlich vor der Palme zwischen den Maya-Ruinen. Als hätte er die letzten zwanzig Jahre dort als Dornröschen verbracht. Und die Stimme des Blutes erhebt sich über den südamerikanischen Regenwald. Beide wissen ganz tief drinnen, dass sie Vater und Sohn sind. Gibt es noch einen größeren Schwachsinn in dieser ohnehin schon schwachsinnigen Welt?!«
Den letzten Satz hatte Herr Sedel wieder gebrüllt.
»Kommen
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