Es muß nicht immer Kaviar sein
übergeschnappt!«
Auch Oberst Werthe war verstört: »Es hat alles Grenzen, Lieven. Also wirklich! Was verlangen Sie von mir?«
»Ich verlange von Ihnen eine Brücke, Herr Oberst!« schrie Thomas plötzlich los. »Verflucht noch mal, es wird doch wohl in Frankreich noch eine Brücke geben, auf die wir verzichten können!«
1. Kapitel
1
Summend hielt der Lift im obersten Stockwerk des von der Deutschen Abwehr beschlagnahmten Pariser Hotels »Lutetia«. Ein Mann von vierunddreißig Jahren stieg aus. Mittelgroß und schlank, mit Walroßschnurrbart.
Der hagere Georg Raddatz aus Berlin ließ die neueste Ausgabe des französischen Aktmagazins »Regal« in die Tasche gleiten, sprang auf und knallte die Hacken zusammen: »Heil Hitler, Herr Sonderführer!«
»Die Gefreiten Raddatz und Schlumberger beim Funkdienst, Herr Sonderführer!« brüllte der Wiener und nahm dabei übertrieben zackig Haltung an.
Der ohne Zweifel seltsamste Sonderführer, den das Dritte Reich hervorgebracht hatte, antwortete grinsend: »Heil Hitler, ihr Armleuchter. Schon London gehört?«
»Jawohl, Herr Sonderführer!« meldete der Wiener stramm. »Grod jetzt.«
Die drei Männer sahen einander seit Wochen allabendlich – und allabendlich machten sie sich, bevor andere kamen, auf verbotene Weise die Empfangsgeräte eines hervorragend eingerichteten deutschen Funkraums zunutze. Sie hörten jeden Abend London. Der dicke Schlumberger sprach: »Churchill hat a Red’ g’halten. Wenn die Italiener jetzt, wo Mussolini im Oasch is’, noch weita mit uns mitmachen, werden s’ ihr Schmalz kriegen.«
Am 25. Juli, fünf Tage zuvor, hatte König Viktor Emanuel von Italien Mussolini verhaften lassen. Ebenfalls am 25. Juli: Tagesangriffe auf Kassel, Remscheid, Kiel und Bremen.
»Junge, Junge, jeht det schnell«, seufzte Raddatz. »In Rußland kriegen wir ’n Hintern voll am Ladogasee, und im Orel-Bogen loofen wa zurück. Die Italiener kriegen auf Sizilien die Fresse voll.«
Thomas setzte sich. »Und die Herren in Berlin riskieren noch immer die große Schnauze. Und hören nicht auf und hören nicht auf.«
Schlumberger und Raddatz, alte, gewiefte Barrasexperten, nickten trübe. Sie hatten einiges über Thomas Lieven in Erfahrung gebracht. Sie wußten, daß er von der Gestapo gefoltert worden war, bevor der Oberst Werthe ihn vor dem sicheren Tod in den Kellern des SD in der Avenue Foch errettete.
Von der Haft und den furchtbaren Verhören hatte er sich übrigens mittlerweile gut erholt. An verschiedenen Stellen wies sein Körper noch scheußliche Narben auf, aber die wurden verdeckt von einer erstklassigen Kleidung, welche Thomas nun wieder sein eigen nannte.
Thomas sagte: »Oberst Werthe und Hauptmann Brenner werden gleich kommen. Wenn ich euch bitten dürfte, inzwischen diesen Funkspruch zu chiffrieren.« Er legte einen Zettel vor Raddatz auf den Tisch.
Der Berliner las und staunte: »Junge, Junge, det wird ja imma bunta. So jewinnen wa ’n Krieg natürlich doch noch. Kiek mal, Karli.«
Der Wiener las und kratzte seinen Schädel. Sein Kommentar war kurz: »Ich geb’s auf.«
»Nicht doch«, sagte Thomas. »Chiffrieren Sie vielmehr den Spruch.«
Der Spruch lautete:
»an nachtigall 17 – raf-bomber wird 1 august zwischen 23 uhr und 23 uhr 15 über planquadrat 167 mt spezialbehälter mit plastiksprengstoff abwerfen – sprengen sie am 4 august genau o uhr oo die pont noir zwischen gargilesse und eguzon – zeitpunkt genau einhalten – viel glück – buckmaster.«
»Na los, meine Herren«, sagte Thomas Lieven. »Was sollen die fassungslosen Blicke?«
»Der Herr Sonderführer macht wieda an Schmäh, Schorsch«, sagte der Wiener. »Wird irgend so a klaane Schaßbrucken sein, vastehst?«
»Die Brücke, meine Herren«, sprach Thomas mit müdem Lächeln, »führt über die Creuze zur Route Nationale 20 und ist eine der wichtigsten Mittelfrankreichs. Sie liegt vor Eguzon. Dort befindet sich die Staumauer des E-Werkes, das den größten Teil Mittelfrankreichs mit Strom versorgt.«
»Und ausgrechnet dös Bruckerl soll in Oasch gehen?«
»Das walte Gott«, sagte Thomas. »Lange genug habe ich gebraucht, um dös Bruckerl aufzutreiben.«
2
Seine Suche nach einer Brücke hatte Thomas Lieven am 4. Juli 1943 begonnen. In einem hellen Sommeranzug, pfeifend und guter Dinge, ging er durch das sommerliche Paris. Ah, die Boulevards mit ihren blühenden Bäumen! Ah, die Trottoir-Cafés mit den schönen jungen Frauen in den kurzen bunten Kleidern.
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