Es muß nicht immer Kaviar sein
Thomas gegen 11 Uhr morgens an diesem Tage öffnete. Zwei große Zeichentische standen darin. Zwei große Männer stritten davor. Sie stritten so heftig, daß sie Thomas Lievens Erscheinen nicht zur Kenntnis nahmen. Die Männer trugen beide weiße Mäntel über ihren Uniformen und schrien.
DER EINE : »Ich lehne die Verantwortung ab! Jeder Panzer, der drüber rollt, kann das Ding zum Einsturz bringen!«
DER ANDERE : »Wie stellen Sie sich das vor, Mensch, die nächste Brücke geht bei Argenton über die Creuze!«
DER EINE : »Das ist mir piepegal, dann müssen die Herren eben den Umweg fahren! Ich erkläre: Die ›Pont noir‹ bei Gargilesse ist eine Gefahr! Meterlange Risse auf der Fahrbahnunterseite! Meine Statiker hat vor Schreck fast der Schlag gerührt!«
DER ANDERE : »Verstärken Sie die Konstruktion mit Bewehreisen!«
DER EINE : »Erlauben Sie – das ist doch der letzte Dreck!«
Thomas dachte: Brücke bei Gargilesse. Phantastisch. Absolut phantastisch. Es ist, als wäre die Wirklichkeit hinter meinen Wünschen und Träumen hergelaufen. Jetzt hat sie mich eingeholt …
DER ANDERE : »Denken Sie an das E-Werk! Die Staumauer! Wenn wir die Brücke sprengen, wird doch die Stromversorgung gestört!«
DER EINE : »Nicht, wenn wir sie sprengen! Dann können wir vorher Umschaltungen und Abschaltungen vornehmen. Aber wenn das Ding morgen von selber einstürzt – dann dürfen Sie von Stromstörungen reden! Ich – was wollen Sie hier?«
Thomas Lieven war endlich entdeckt worden. Er verneigte sich und sprach sanft: »Ich hätte gerne Baurat Heinze gesprochen.«
»Das bin ich«, sagte der eine. »Was gibt’s?«
»Herr Baurat«, sagte Thomas, »ich glaube, wir werden wundervoll zusammenarbeiten …«
Die Zusammenarbeit war tatsächlich wundervoll. Bereits am 15. Juli hatte man die Pläne der Organisation Todt und der Organisation Canaris betreffend der Zukunft der »Pont noir« südlich von Gargilesse völlig koordiniert. Nun erteilte Thomas dem »Maquis Crozant« als »Colonel Buckmaster, War Office, London« über Funk den Auftrag:
»stellen sie unverzüglich eine liste der wichtigsten brücken im gebiet ihres maquis zusammen – melden sie art und dichte der truppenbewegungen.«
Tagelang, nächtelang lagen französische Widerständler auf der Lauer. Sie hockten unter Brückenbögen, in Baumkronen, in den Dachböden alter Windmühlen und Bauernhäuser. Sie hatten Feldstecher, Papier und Bleistift bei sich. Sie zählten deutsche Panzer, Lastkraftwagen, Motorräder. Und allabendlich um 21 Uhr meldeten sie ihre Beobachtungen nach »London«. Da war die Brücke bei Feurs. Die Brücke bei Macon. Die bei Dompierre. Die bei Nevers. Und die große »Pont noir« südlich Gargilesse, vor der Staumauer des E-Werkes bei Eguzon.
Am 30. Juli um 21 Uhr saßen Yvonne Dechamps und Professor Débouché, Bürgermeister Cassier, Leutnant Bellecourt und Emile Rouff, der Töpfer, in der Wohnstube der alten »Moulin de Gargilesse«. Zum Schneiden dick lagerte Zigarettenrauch im Raum.
Yvonne trug Kopfhörer. Sie nahm die verschlüsselte Botschaft auf, die der leicht verfettete Gefreite Schlumberger in Paris durchgab:
»sv. 21 54 621 lhvhi rhwea riehr ctbgs twoee …«
Die Männer, die Yvonne Dechamps umstanden, atmeten flach und kurz. Professor Débouché putzte seine Brillengläser. Leutnant Bellecourt beleckte immer wieder seine Lippen.
» …sntae siane krodi lvgap«, morste Schlumberger im obersten Stockwerk des Hotels »Lutetia« in Paris. Die Männer, die ihn umstanden, Thomas Lieven, der kleine, pedantisch frisierte Hauptmann Brenner, der verschlossene Oberst Werthe, atmeten flach und kurz. Hauptmann Brenner nahm seine goldgefaßte Brille ab und putzte sie umständlich.
Zwanzig Minuten nach neun Uhr brach »London« den Funkverkehr ab. In der romatischen uralten Wassermühle am Ufer der Creuze dechiffrierten die Führer des »Maquis Crozant« die empfangene Botschaft, jene Botschaft, welche begann:
»an nachtigall 17 – raf-bomber wird 1. august zwischen 23 uhr und 23 uhr 15 über planquadrat 167 mt spezialbehälter mit plastiksprengstoff abwerfen – sprengen sie am 4. august genau o uhr oo die pont noir zwischen gargilesse und eguzon …«
Als die Meldung dechiffriert vorlag, redeten sie alle durcheinander. Nur Yvonne Dechamps schwieg. Still saß sie vor dem Funkgerät, die Hände im Schoß gefaltet. Sie dachte an diesen seltsamen Captain Everett, dem sie so sehr mißtraut hatte.
Professor
Weitere Kostenlose Bücher