Es muß nicht immer Kaviar sein
Partisanenverbände teilgenommen, die aus allen Teilen des Südens zusammengeströmt waren. In dem von den Amerikanern besetzten »Hôtel de Noailles« fand zwei Tage nach dem Sieg eine große Feier statt. Stehend sangen alle Anwesenden die französische Nationalhymne, auch Captain Robert Almond Everett.
»… le jour de gloire est arrivé …« sang er gerade, als sich eine schwere Hand auf seine Schulter legte. Er fuhr herum. Zwei riesige amerikanische Militärpolizisten standen hinter ihm. Neben ihnen stand ein Mann, der aussah wie ein zu groß geratener Adolphe Menjou.
»Verhaften Sie diesen Mann!« sagte Oberst Jules Siméon, der jetzt eine prächtige Uniform trug. »Er ist einer der gefährlichsten deutschen Agenten des Krieges. Nehmen Sie die Hände hoch, Herr Lieven. Sie haben es endgültig zu weit getrieben. Ihr Spiel ist aus!«
13
Am 25. August war General de Gaulle mit den Amerikanern in Paris eingezogen. Am 15. September landete Thomas Lieven, zum zweitenmal in seinem Leben, in dem nahen Gefängnis von Frèsnes. Das erstemal hatte die Gestapo ihn hier eingesperrt. Nun sperrten die Franzosen ihn ein.
Eine Woche saß Thomas in seiner Zelle, zwei Wochen – nichts geschah. Er ertrug die neuerliche Gefangenschaft mit philosophischer Gelassenheit. Er dachte oft Gedanken wie diese: Es mußte so kommen. Es ist nur gerecht so. Ich habe in diesen bösen Jahren mit dem Teufel paktiert. Und man muß einen langen Löffel haben, wenn man mit dem Teufel essen will!
Auf der anderen Seite …
Auf der andern Seite habe ich so viele Freunde hier. So vielen Franzosen habe ich geholfen: Yvonne Dechamps, dem Bankier Ferroud, Madame Page. Vielen habe ich das Leben gerettet. Sie werden nun auch mir helfen.
Was werde ich schon bekommen? Ein halbes Jahr? Na schön. Ich werde es überleben. Und dann, mein Gott, dann bin ich endlich frei! Dann kann ich
endlich
nach England zurückkehren. Nach so vielen Jahren, ach, werde ich endlich wieder in Frieden leben. Niemals wieder Geheimdienst! Kein Abenteuer mehr! Leben wie einst. Mit dem Geld vom Konto Eugen Wälterlis in Zürich.
Schritte kamen polternd näher. Ein Schlüssel drehte sich im Schloß, die Zellentür schwang auf. Zwei französische Soldaten standen draußen.
»Fertigmachen!« sagte der erste Soldat.
»Na endlich«, sagte Thomas Lieven und zog seine Jacke an, »das hat aber mächtig lange gedauert, bis Sie mich endlich mal verhören!«
»Verhör, nichts damit«, sagte der zweite Soldat. »Fertigmachen zum Erschießen!«
1. Kapitel
1
Nicht eine einzige Wolke zeigte sich am tiefblauen Sommerhimmel. Und es war heiß in Baden-Baden, sehr heiß an diesem 7. Juli 1945. Die Bewohner der Stadt schlichen bleich und mager einher, schlecht gekleidet und hoffnungslos.
Gegen die Mittagsstunde dieses Tages fuhr ein olivgrüner Stabswagen, im Fond ein Zwei-Sterne-General, über die Kreuzung auf dem Leopoldsplatz. Hier regelte ein französischer Militärpolizist den Verkehr – den französischen Verkehr, denn deutsche Autos gab es nicht. Aber dafür gab es französische in Menge! Baden-Baden war der Sitz der französischen Militärregierung. Deutsche Einwohnerzahl: 30 000. Französische Militärs und Verwaltungsbeamte mit ihren Familien: 32 000.
»Halten Sie mal«, sagte der General. Der Fahrer hielt neben dem Militärpolizisten, der so lässig salutierte, daß er von einem deutschen General sofort angeschnauzt worden wäre. Doch deutsche Generäle schnauzten zu dieser Zeit nicht mehr beziehungsweise noch nicht wieder.
Der Zwei-Sterne-Herr drehte das Wagenfenster herunter und sagte: »Ich bin fremd hier. Sie kennen sich aus. In welcher Messe gibt es das beste Essen?«
»Mon général, gehen Sie um Himmels willen in keine Messe! Gehen Sie zu Capitaine Clairmont vom Organ ›Recherche de Criminels de Guerre‹.« Der Militärpolizist erklärte den Weg.
»Dann also los«, sprach der hungrige General.
Weiter rollte der Wagen zum Hotel »Atlantic«, zum Kurhaus, am Spielcasino vorbei. Ach wie traurig sah es hier aus, wo einst die reichsten Männer der Welt, die elegantesten Damen, die teuersten Kokotten gewandelt waren! Ausgebrannt die Muschel des Kurorchesters, verwüstet die Rasenflächen. Im Freien türmten sich die kostbaren Möbel des Kurhauses und der Spielbank.
Der Stabswagen hielt vor einer großen Villa. Hier hatte sich bis zum Ende des sogenannten Tausendjährigen Reiches das Gestapo-Hauptquartier befunden. Nun befand sich hier der »Französische
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