Es muß nicht immer Kaviar sein
Kriegsverbrecher-Suchdienst«. Der General betrat die Villa und forschte nach Capitaine Clairmont.
Der Mann, der sich gerade René Clairmont nannte, erschien: schlank, mittelgroß, schmaler Schädel, schwarzes Haar und kluge Augen. Eine gutsitzende Uniform trug der etwa 35 Jahre alte Mann. Allerdings erweckte die Uniform einen
sehr
zivilen Eindruck.
Der Capitaine, der in Wahrheit Thomas Lieven hieß und vor langer, langer Zeit einmal erfolgreicher Privatbankier in London gewesen war, schüttelte dem Zwei-Sterne-General die Hand und sprach: »Es wird mir eine Ehre sein, Sie bei uns zu Gast zu haben, mon général.«
Also, Moment mal! Als wir zuletzt von dem unfreiwilligen Geheimagenten, Lebenskünstler und Kochgenie Thomas Lieven berichteten, da saß dieser Mann mit den vielen Namen nahe Paris im Gefängnis von Frèsnes, eingekerkert von den Franzosen.
Es wird, denken wir darum, hohe Zeit, dem geneigten Leser die Frage zu beantworten: Wie war es möglich, daß Thomas Lieven als französischer »Kriegsverbrecher-Sucher« am 7. Juli 1945 in Baden-Baden war – wenn ihn doch am 3. Oktober 1944 zwei Soldaten aus seiner Zelle im Gefängnis zu Frèsnes geholt hatten, mit der Aufforderung, sich fertigzumachen, fertig zum Erschießen …
2
Zum Erschießen? dachte Thomas Lieven entsetzt, dieweilen die Soldaten ihn gefesselt in den düsteren Gefängnishof hinabführten. Lieber Gott! Und ich glaubte, sie würden mich zu einigen Monaten verdonnern.
Die Soldaten stießen ihn in denselben fensterlosen, übelriechenden Bus, in den er dereinst schon von deutschen Soldaten gestoßen worden war.
Es stank noch immer nach Schweiß und Angst in dem Bus. Abgemagert, blaß und unrasiert, in einem zerdrückten Anzug, ohne Hosenträger, Krawatte und Schnürsenkel, so kauerte Thomas Lieven im Wagen. Eine Welle von Übelkeit hielt ihn umfangen.
Er wußte nicht, wo er war, als der Wagen in Paris hielt, wieder in einem düsteren Hof. Teilnahmslos ließ er es geschehen, daß ihn die Soldaten roh vorwärtsstießen, hin zu einem Zimmer in einem großen Gebäude.
Die Tür des Zimmers öffnete sich. Danach begann sich alles um Thomas zu drehen, und er rang nach Luft. Er hörte Stimmen und Worte, ohne sie zu verstehen. Er sah den Mann, der in der Uniform eines französischen Obersten hinter dem Schreibtisch saß, den großen Mann mit dem sonnverbrannten Gesicht, den grauen Schläfen und den guten Augen. Und indessen das Blut stürmisch in seinen Schläfen pochte, wußte Thomas: Er war gerettet. Das wußte er nun, da er diesen Freund Josephine Bakers erkannte, dem er selbst einmal in Lissabon das Leben gerettet hatte, diesen Oberst Débras vom »Deuxième Bureau«.
Mit keiner Miene, mit keinem Wort verriet Oberst Débras, daß er Thomas Lieven kannte. »Da rüber!« schnauzte er ihn an. »Hinsetzen! Maul halten!« Thomas setzte sich da rüber. Thomas hielt das Maul.
Umständlich öffneten die beiden Soldaten seine Fesseln, umständlich ließen sie sich die Übergabe des Gefangenen bestätigen. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis sie endlich verschwanden. Dann war Thomas mit Débras allein.
Débras lächelte. »Josephine läßt Sie grüßen, Sie elender Hund.«
»Danke, sehr freundlich. Wo … wo ist Madame?«
»In Casablanca. Ich war Gouverneur dieser Stadt, wissen Sie.«
»Interessant.«
»Ich hatte in Paris zu tun. Ich erfuhr durch einen Zufall, daß Sie verhaftet worden sind.«
Thomas erholte sich langsam. »Ihr Kollege, Oberst Siméon, hat das veranlaßt. Ich sang gerade die Marseillaise. Bei einer nationalen Befreiungsfeier. Ich hätte im Hotel bleiben und den Mund halten sollen. Dann wäre ich jetzt längst in London. Nationalhymnen bringen aber auch nur Unglück!«
Débras sagte: »Ich weiß viel von Ihnen. Was Sie alles gegen uns getan haben. Aber auch, was Sie alles
für
uns getan haben. Als ich nun nach Paris kam, hörte ich von Ihrem Schicksal. Ich bin nicht mehr beim ›Deuxième Bureau‹. Ich bin beim Kriegsverbrecher-Suchdienst. So konnte ich nur an Sie heran, wenn ich Sie auf meine Kriegsverbrecherliste setzte und erklärte, Sie würden erschossen. Nur so bekam ich Sie aus Frèsnes heraus. Guter Trick, wie?«
Thomas wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ja«, sagte er. »Guter Trick. Vielleicht ein bißchen anstrengend für die Nerven.«
Débras zuckte die Schultern. »Unsere ganze Zeit ist das, Lieven. Sie machen sich hoffentlich keine Illusionen. Sie wissen hoffentlich bereits, was es bedeutet, daß ich
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