Es muß nicht immer Kaviar sein
Kommandowagens. Stundenlang hörte er täglich deutsche und alliierte Sender ab.
Nach dem, was der flüsternde Äther verriet, richtete Thomas seinen Schlachtplan ein. Er kehrte nach Marseille zurück. Er beobachtete den glatzköpfigen Dantes Villeforte bei Tag, bei Nacht. Aber noch schlug Thomas Lieven nicht zu. Er wartete. Er wußte, worauf …
Am 26. Juni eroberten die Alliierten Cherbourg, am 9. Juli Caën.
Am 20. Juli kam es zu dem Attentat auf Hitler.
Am 3. August fiel Rennes in die Hände der Alliierten, am 9. Le Mans, am 10. Nantes und die Loire-Linie. Das alles hörte Thomas Lieven in seinem Kommandowagen. Aber noch schlug er nicht zu. Dann kam der 15. August. Von Neapel aus landeten Engländer und Amerikaner an der Riviera. Am 23. fiel Grenoble. Nun ist es Zeit, sagte Thomas Lieven zu sich selber.
An diesem Tage erschien er im Hauptquartier des SD in der Rue de Paradis. Hier quoll brauner Rauch aus dem Hof: Die Gestapo-Herren verbrannten ihre Akten. Zu dem verstörten Hauptsturmführer Rahl sagte Thomas Lieven: »Nur keine Panik, mein Lieber. Wir werden die Amerikaner ins Meer zurückwerfen, das ist klar. Nach wie vor steht mir auf Grund des Befehls vom Reichsführer SS Ihre gesamte Dienststelle zur Verfügung – oder wollen Sie etwa flitzen?«
»Kei … keinesfalls, Sonderführer.«
»Will ich stark hoffen. Geben Sie mir zwei zuverlässige Leute mit. Bewaffnet. Es wird wahrscheinlich eine Schießerei geben. Der Kerl ist der gefährlichste Verräter von Marseille – Dantes Villeforte.«
»Villeforte – aber das ist doch …«
»Ein Verräter, wie ich schon sagte! Zweifeln Sie an der Dringlichkeit meiner Mission, Hauptsturmführer? Muß ich mich in Berlin über Sie beschweren?«
»Um Himmels willen – bin völlig im Bild, Sonderführer.«
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Am 21. September 1944 machte ein gewisser Paul Martinie folgende Aussage vor Beamten des 145th CIC Detachment, United States Army, Europe:
»Ich war seit Januar 1944 Gefangener der Gestapo in der Rue de Paradis. Am 23. August kam der ganze Betrieb in Unordnung. Es gab plötzlich kein Essen mehr – auch nicht für die deutschen Wachen. Dichter Rauch drang in unsere winzigen Zellen. Vermutlich verbrannten die Gestapo-Leute ihre Akten.
Am Abend gab es eine wüste Brüllerei. Ein älterer, freundlicher Landesschütze, Friedrich Felge aus Hannover, berichtete mir: ›Da haben wir jetzt einen Sonderführer, ein ganz hohes Tier aus Berlin. Der hat einen Verräter verhaften lassen. Sie nennen ihn hier in Marseille ›Die Glatze‹. Er ist in Ketten geschlossen worden und liegt unten im Keller.‹. Ich wußte, daß ›Die Glatze‹, mit bürgerlichem Namen Dantes Villeforte, tatsächlich ein Verräter war – aber ein Verräter
Frankreichs
, ein SD -Spitzel! Am 27. August türmten die Gestapo-Leute. Wir schrien und trommelten gegen unsere Zellentüren – umsonst. Am Morgen des 28. August wurde meine Zellentür aufgeschlossen. Ein eleganter Zivilist stand draußen und sprach in fließendem Französisch: ›Sie sind frei wie alle Ihre Kameraden. In wenigen Stunden werden die Alliierten hier sein. Übernehmen Sie so lange die Bewachung dieses Hauses und die Bewachung des Gefangenen, der unten im Keller liegt. Viele von Ihnen werden ihn kennen. Er heißt Dantes Villeforte. Er ist ein Mörder und SD -Spitzel und hat unzählige Ihrer Landsleute ans Messer geliefert.‹ Danach verschwand dieser Mann. Wir bewachten Villeforte und übergaben ihn später einer alliierten Kommission, die ihn sogleich unter Arrest setzte. Den Mann, der uns befreite, habe ich nie wieder gesehen.«
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Am Vormittag des 28. August zog Thomas aus seinem Hotel aus und deponierte einen Koffer auf dem Hauptbahnhof. In den Vororten von Marseille wurde ein wenig gekämpft – nicht sehr. Am Nachmittag des 29. August war Marseille befreit. Thomas Lieven zerriß seine verschiedenen SD -Ausweise und holte eine Reihe von Papieren hervor, die ihm seinerzeit bei der Bekämpfung des »Maquis Crozant« gute Dienste erwiesen hatten …
Am Abend des 29. August 1944 meldete sich ein gewisser Captain Robert Almond Everett, britischer Fallschirmagent, bei den Amerikanern. Er gab an, über Frankreich abgesetzt worden zu sein, und bat, ihn schnellstens nach London zurückzufliegen. Die Amerikaner bewirteten den tapferen Alliierten, der Thomas Lieven wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich sah, mit Whisky und K-Rations.
An der Befreiung Marseilles hatten auch französische Truppen und
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