Es muß nicht immer Kaviar sein
Schiffs-Reparaturwerkstätten. Facharbeiter schufteten zu Überstundenlöhnen, um das gestohlene Schiff sogleich abzuwracken.
Auch Käufer für die Einzelteile warteten bereits an Ort und Stelle! Sie standen um das Schiff herum und sagten, was sie wollten. Nach Wunsch wurde den Herrschaften alles zurechtgesägt: Motoren, Kurbelwellen, Stahlwände, Aufbauten. Es war, als schnitten emsige Metzger Filetstück um Filetstück aus einem Ochsen heraus.
In Neapel gab es zu dieser Zeit keinen Gegenstand, für den man nicht Verwendung gehabt hätte. So blieb denn auch von der »Victory« nicht eine Niete übrig. Ja es steht zu fürchten, daß Luigis Freunde sogar noch mit den Ratten etwas anzufangen wußten, die sie an Bord fanden …
3
Mit dieser Geschichte unterhielt Thomas den Oberst Débras an einem gemütlichen Bar in Paris. Dann wurde Débras ernst. Er sagte: »Sie sind Deutscher, Lieven. Wir brauchen Sie jetzt in Deutschland. Niemand weiß besser als Sie zwischen großen, wirklichen Schweinen und dem kleinen, harmlosen Mitläufern zu unterscheiden. Sie könnten erreichen, daß jetzt nicht die Falschen bestraft werden. Wollen Sie das?«
»Ja«, sagte Thomas Lieven.
»In Deutschland müssen Sie aber unbedingt eine Uniform tragen.«
»Nein!!!«
»Tut mir leid, das ist Vorschrift. Wir müssen Ihnen auch einen französischen Namen geben und einen militärischen Rang. Hauptmann, würde ich sagen.«
»Mein Gott, aber was für eine Uniform denn?«
»Ihre Sache, Lieven. Suchen Sie sich etwas aus!«
Also ging Thomas zu dem ersten Offiziersschneider der Stadt und suchte sich etwas aus: eine taubengraue Fliegerhose, eine beigefarbene Jacke mit großen Taschen, langer Mittelfalte im Rücken und engem Gürtel. Dazu einen Riemen über die Schulter, ein Schiffchen und drei Winkel am Ärmel.
Die von Thomas erfundene Uniform gefiel allgemein so gut, daß sie einen Monat später zur offiziellen Kleidung des »Kriegsverbrecher-Suchdienstes« erklärt wurde.
Mit den vorrückenden alliierten Truppen kehrte Thomas als Capitaine René Clairmont in seine Heimat zurück. Bei Kriegsende war er in Baden-Baden. Im ehemaligen Gestapo-Hauptquartier in der Kaiser-Wilhelm-Straße richtete er sein Büro ein.
So, und nun weiß der geneigte Leser, wie es möglich ist, daß unser Freund am 7. Juli 1945 in Baden-Baden für einen Zwei-Sterne-General kochte!
Siebzehn Männer arbeiteten im Hause Kaiser-Wilhelm-Straße 1. In der Villa gegenüber wohnten sie. Ihre Arbeit war schwer, ihre Arbeit war unerfreulich. Dazu kam, daß sie sich zum Teil untereinander aus politischen und anderen Gründen nicht gut vertrugen. So bekam Thomas Lieven beispielsweise sofort Streit mit dem Lieutenant Pierre Valentine, einem jungen, hübschen Kerl mit eiskalten Augen und dünnen Lippen, den man sich genausogut als SS -Mann hätte vorstellen können.
Valentine requirierte und verhaftete wild darauf los. Während sich die anständigen Offiziere des französischen »Kriegsverbrecher-Suchdienstes« genauso wie ihre anständigen amerikanischen und britischen Kollegen korrekt an die von der Militärregierung ausgegebenen »Wanted-Persons«-Listen hielten, gebrauchte Valentine seine Macht willkürlich und ohne Gewissen.
Von Thomas zur Rede gestellt, zuckte er nur hochmütig die Schultern. Er sagte: »Ich hasse alle Deutschen.«
Gegen eine solche dumme Verallgemeinerung protestierte Thomas Lieven. Valentine erwiderte lässig: »Ich rede nur von Zahlen. In unserem Abschnitt allein hatten wir im vergangenen Monat einen Eingang von über 6000 Denunziationen von Deutschen gegen Deutsche. So sind sie: Wenn sie kleine Völker überfallen – Herrenmenschen. Wenn sie gerade auf die Schnauze geknallt sind, spielen sie Beethoven und denunzieren einander. Und vor einem solchen Volk soll ich Achtung haben?« Lieutenant Valentine, so widerwärtig er war, hatte in diesem Punkt recht: Eine scheußliche Woge von Spitzelei, Gemeinheit und Niedertracht schwemmte nach Kriegsende über Deutschland hinweg.
Dann kam der 2. August 1945. An diesem Tage erlebte Thomas Lieven etwas, das ihn erschütterte. Ein hagerer, weißhaariger Mann, unterernährt und in alten, zerdrückten Kleidern, erschien in seinem Büro. Dieser Mann zog den Hut und sprach die folgenden Worte: »Guten Tag, mein Herr. Ich heiße Werner Hellbricht. Sie suchen mich. Ich war Kreisbauernführer.« Er nannte den Ort, in dem er lebte, einen Ort im Schwarzwald. »Ich habe mich bisher versteckt. Aber jetzt komme ich zu
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