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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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einem glücklichen Moment klaust du dem Doktor eine Injektionsspritze. Dann freundest du dich mit dem Koch an. Gerade dir wird das nie schwerfallen. Den Koch bittest du um etwas Essig. Du willst dein Essen würzen, sagst du. Und dann verlangst du noch ein bißchen Zucker. Für deinen Kaffee.«
    »Ich verstehe.« Thomas klopfte. Der Wärter erschien. »Man kann abservieren«, sagte Thomas. »Bitte den Nachtisch.«
    Lazarus wartete, bis Juliao mit dem Geschirr verschwunden war, dann fuhr er fort: »Essig und Wasser mischst du im Verhältnis eins zu zwei und sättigst die Lösung mit Zucker. Dann spritzt du dir zwei Kubikzentimeter in den Oberschenkel.«
    »Intramuskulär?«
    »Ja. Aber langsam, um Gottes willen ganz langsam, sonst gibt’s eine hübsche Phlegmone!«
    »Verstehe.«
    »Die Injektion machst du dir, eineinhalb Stunden bevor du zum Arzt bestellt bist. In dieser Zeit mußt du dir dein kleines Geschäft verkneifen. Klar?«
    »Klar.«
    Wächter Juliao brachte den Nachtisch, bekam seinen Teil ab und verschwand zufrieden.
    Bei Kastanien mit Schlagsahne schloß Lazarus: »Dem Arzt klagst du über grenzenlosen Durst in der Nacht. Sofort entsteht der Verdacht, du könntest Blutzucker haben. Er bittet dich um eine Urinprobe. Du gibst sie ihm bereitwillig. Die Untersuchung zeigt: tatsächlich schwerer Zucker. Entsprechend gute Ernährung – Gebratenes, Butter, Milch und Weißbrot – ist der Lohn der kleinen Mühe …«
    Solches erfuhr Thomas Lieven am ersten Tag seiner Bekanntschaft mit Lazarus, dem Buckligen. In den folgenden Tagen und Wochen erfuhr er mehr. Einen regelrechten Kursus des Verbrechens und des Zuchthauslebens machte er mit. Mathematisch exakt registrierte sein Gehirn jeden Tip, jedes Rezept, das er erhielt.
    Zum Beispiel: Wie bekomme ich schnell hohes Fieber, damit ich aufs Revier gebracht werde, von wo sich leichter entfliehen läßt?
    Antwort:
    Man nehme ordinäre Kernseife und schabe sie zu feinen Flocken. Eine Stunde vor der Visite schlucke man drei Teelöffel davon. Heftige Kopfschmerzen werden auftreten, Fieber bis zu 41 Grad wird innerhalb von einer Stunde die Folge sein, allerdings auch nur eine Stunde lang anhalten. Für längere Fieberperioden schlucke man Seifenkügelchen.
    Oder: Wie simuliere ich Gelbsucht?
    Man nehme einen Teelöffel Ruß und zwei Teelöffel Zucker, mische und setze mit Essig an. Lasse über Nacht stehen und trinke das Gemisch am nächsten Morgen auf nüchternen Magen. Nach ein bis zwei Tagen treten Gelbsuchtsymptome auf.
    Lazarus sagte: »Wir leben in kriegerischen Zeiten, weißt du, Jean. Vielleicht willst du dich einmal auch vor dem Heldentod zurückziehen. Muß ich weitersprechen?«
    »Keineswegs«, sagte Thomas Lieven.
    Es waren glückliche Wochen. Lazarus lernte perfekt kochen, Thomas lernte perfekt Krankheiten simulieren, die internationale Ganovensprache und Dutzende von Tricks wie die »Weiße Weste«, die »Leihgabe«, den »Autokauf«, die »Schirmmasche«, den »Brillantenerwerb«, den »Schadenersatz«, den »Maßanzug«, die »Intelligenzflucht«, den »Abschleppdienst« und viele andere. Er hatte das Gefühl – mein Gott, wie tief war er bereits gesunken! –, daß er alle diese Tricks noch einmal gut gebrauchen könnte. Sein Gefühl sollte sich hundertprozentig bewahrheiten!
    Thomas und Lazarus, Lernende und Lehrende zugleich, lebten in Frieden und Eintracht bis zum Morgen jenes grauenvollen, jenes entsetzlichen 5. November 1940 …
     
    Am Morgen des 5. November 1940 wurde Thomas Lieven – nach langer Zeit wieder einmal – dem Untersuchungsrichter vorgeführt. Dieser Herr hieß Eduardo Baixa, war stets ganz in Schwarz gekleidet und trug einen Zwicker an einem schwarzen Seidenband. Untersuchungsrichter Baixa war ein gebildeter Mensch. Stets sprach er französisch mit Thomas. So auch heute: »Also, was ist los mit Ihnen, Monsieur, wollen Sie endlich gestehen?«
    »Ich habe nichts zu gestehen. Ich bin unschuldig.«
    Baixa putzte seinen Zwicker: »Tja, dann werden Sie wohl noch lange, lange in Aljube bleiben, Monsieur. Ihre Beschreibung haben wir inzwischen an alle Polizeistellen Portugals weitergegeben. Wir müssen abwarten.«
    »Was abwarten?«
    »Nun, die Antworten all dieser Stellen. Wir wissen ja nicht, welche Verbrechen Sie in unserem Land noch begangen haben.«
    »Ich habe überhaupt keine Verbrechen begangen! Ich bin unschuldig!«
    »Nun ja, gewiß, natürlich … Aber trotzdem, Monsieur Leblanc. Wir müssen es abwarten. Zudem sind Sie

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