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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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ohne Ehrgefühl, ohne Moral, ohne Charakter …«
    »Verschwinden Sie, oder ich schreie um Hilfe!«
    »Wie können Sie einem Deutschen helfen? Wollen Sie, daß Hitler den Krieg gewinnt?«
    »Hit…« Das Wort blieb der enragierten, nicht eben vom Glück verfolgten Roulettspielerin im schwanenweißen Halse stecken.
    »Was haben Sie gesagt?«
    »Wie können Sie einem Deutschen helfen?«
    »Ein Deutscher? Nein! Nein!« Mit beiden Händen, schwanenweiß, griff die Konsulin sich nach dem Kopf. »Sie lügen!«
    »Ich lüge nicht! Thomas Lieven heißt der elende Faschist!«
    Indessen sie von heftigem Schwindelgefühl heimgesucht wurde, überlegte Estrella: Jean ein Deutscher? Unmöglich. Unvorstellbar. Nach allem, was ich mit ihm erlebt habe. Dieser Charme. Diese Zärtlichkeit. Dieses … Nein, er muß ein Franzose sein!
    Estrella stöhnte: »Unmöglich!«
    »Er hat Sie betrogen, Senhora, wie er mich betrogen hat, wie er uns alle betrogen hat. Ihr Jean Leblanc ist ein deutscher Agent!«
    »Entsetzlich!«
    »Dieses Reptil muß unschädlich gemacht werden, Senhora!«
    Die Konsulin warf den schönen Kopf zurück, der schöne Körper straffte sich. »Folgen Sie mir ins Haus, Mr. Lewis. Zeigen Sie mir Ihre Beweise! Ich will Tatsachen sehen, nackte, harte Tatsachen! Wenn Sie mir diese liefern, dann …«
    »Dann, Senhora, dann?«
    »Dann will ich Rache nehmen! Kein Deutscher soll über Estrella Rodrigues lachen! Keiner, nie!«
    3
    »Amanha«
 – so lautete das Wort, das Thomas Lieven in den Wochen seiner Haft am häufigsten hören sollte.
»Amanha«
, zu deutsch: morgen … »Morgen«, versprachen die Wärter, »morgen«, versprach der Untersuchungsrichter, »morgen«, trösteten sich die Gefangenen, die seit Monaten darauf warteten, daß etwas, irgend etwas mit ihnen geschehen würde.
    Nichts geschah. Aber vielleicht geschah morgen etwas! Wärter, Untersuchungsrichter und Gefangene zuckten fatalistisch die Schultern, lächelten vielsagend und bemühten ein Sprichwort, das als Leitsatz über dem gesamten südländischen Strafvollzug stehen konnte:
»E-e, ate amanha!«
In sinngemäßer Übersetzung etwa: »Morgen ist morgen, und morgen – ach, du lieber Gott, was kann bis dahin alles passieren, also lassen wir uns überraschen!«
    Nach seiner Verhaftung landete Thomas Lieven zunächst im Untersuchungsgefängnis der Kriminalpolizei auf dem »Torel«, einem der sieben Hügel, auf denen Lissabon errichtet ist. Der »Torel« erwies sich als ganz arg überfüllt.
    Nach wenigen Tagen wurde Thomas Lieven darum in den »Aljube« überstellt, einen mittelalterlichen fünfstöckigen Palast im ältesten Teil der Stadt. Über dem Portal befand sich das Wappen des Erzbischofs Dom Miguel de Castro, der, wie alle Gebildeten wissen, von 1568 bis 1625 in unserm Jammertal geweilt und den scheußlichen alten Kasten als Gefängnis für solche Geistliche etabliert hatte, die sich strafbare Handlungen zuschulden kommen ließen. Es muß, überlegte Thomas Lieven bei seiner Einlieferung, einen hohen Prozentsatz an Strafwürdigen unter dem portugiesischen Klerus des 16. Jahrhunderts gegeben haben, denn der »Aljube« war ein Riesengefängnis!
    Hier deponierte jetzt die Polizei ihre Gefangenen, darunter viele unerwünschte Ausländer. Aber es gab auch mindestens ebensoviel Herren, die schlicht gegen völlig unpolitische Paragraphen des portugiesischen Strafgesetzbuches verstoßen hatten. Sie saßen zum Teil in Untersuchungshaft, zum Teil, bereits verurteilt, in Sammelzellen, Einzelzellen und sogenannten »Zellen für begüterte Häftlinge«.
    Letztere befanden sich in den obersten Stockwerken und waren am komfortabelsten eingerichtet. Alle Fenster blickten auf den Hof. Angrenzend betrieb ein gewisser Herr Teodoro dos Repos eine Koffer- und Taschenfabrikation, was mit gewissen unangenehmen Gerüchen verbunden war, unter denen die unbegüterten Häftlinge in den tieferen Stockwerken, besonders bei heißem Wetter, sehr litten.
    Da ließ es sich oben, bei den Begüterten, besser leben! Sie bezahlten ihre Zimmermiete pro Woche – wie in einem ordentlichen Hotel. Die Höhe der Miete wurde errechnet nach der Höhe der Kaution, die der Untersuchungsrichter gefordert hatte. Sie war gesalzen. Wie in einem ordentlichen Hotel wurde für die Begüterten jedoch auch nach besten Kräften gesorgt. Das Personal war bemüht, ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Selbstverständlich gab es Zeitungen und Zigaretten, selbstverständlich konnten die Inhaftierten

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