Es muß nicht immer Kaviar sein
»Was willst du zu Mittag essen, Lazarus?«
»Ich hätte schon einen Wunsch, aber ich weiß nicht, ob du das kennst … Der dämliche Küchenbulle kennt es sicher nicht.«
»Na, sag schon!«
»Verstehst du, ich habe so ziemlich in allen Ländern Europas gearbeitet. Ich bin verfressen, ich gebe es zu. Am liebsten französische Küche. Aber nichts gegen die deutsche! Da habe ich mal in Münster einigen Herren die Taschen geleert und vorher einen gefüllten Rippenspeer gegessen, einen Rippenspeer, sage ich dir, also, von dem träume ich heute noch manchmal!« Er verdrehte die Augen und schmatzte.
»Wenn’s weiter nichts ist«, sagte Thomas Lieven sanft.
»Du kennst das Rezept?«
»Ich habe auch mal in Deutschland gearbeitet«, erwiderte Thomas und klopfte an die Zellentür. »Also gefüllten Rippenspeer, na schön. Machen wir uns heute mal einen deutschen Tag. Vorher, würde ich dann sagen, schwäbische Leberspätzlesuppe und nachher – hm – Kastanien mit Schlagsahne …«
Menu • 21. September 1940
Hausmannskost: die beste Stärkung vor dreisten Tricks
Schwäbische Leberspätzlesuppe
Westfälischer gefüllter Rippenspeer
Kastanien mit Schlagsahne auf badische Art
Schwäbische Leberspätzlesuppe:
Man rühre 60 Gramm Butter schaumig, vermenge sie mit 200 Gramm geschabter Rindsleber, drei Eiern, einer eingeweichten und ausgedrückten Semmel, 50 Gramm Semmelbröseln, fünf Gramm Majoran, Salz und Pfeffer. Man drücke die Masse durch ein Spätzlesieb in siedendes Wasser und lasse die Spätzle zehn bis fünfzehn Minuten kochen, bis sie oben schwimmen. Man nehme sie mit einem Schaumlöffel heraus, lasse sie abtropfen und gebe sie in einer kräftigen Fleischbrühe zu Tisch.
Westfälischer gefüllter Rippenspeer:
Man lasse sich am besten gleich vom Metzger aus einem schönen großen Stück frischen Schweinerücken alle Knochen und Rippen lösen. Man schneide frische Äpfel in Schnitze, vermische sie mit guten Backpflaumen, die man vorher leicht gedämpft hat, gebe ganz wenig geriebene Zitronenschale, einen Schuß Rum und etwas Semmelbrösel darunter. Diese Masse fülle man in das ausgebeinte, gesalzene und gepfefferte Fleisch und nähe es rundherum zusammen.
Man brate den Rippenspeer erst auf allen Seiten schön braun an, lasse ihn dann im Bratofen fertigschmoren. Dazu reiche man Kartoffelpüree.
Kastanien mit Schlagsahne auf badische Art:
Man schneide schöne, feste Kastanien auf der runden Seite kreuzweise ein und lasse sie kurz im Bratofen rösten, damit man die harte Schale entfernen kann. Dann lege man sie in kochendes Wasser, bis sich die innere Haut leicht abziehen läßt.
Danach koche man die Kastanien in gesüßter Milch, der ein Stückchen Vanilleschote zugegeben wurde, bis sie weich, aber nicht verkocht sind. Man drehe sie nun durch den Wolf, und zwar nach Möglichkeit gleich auf die Schale, in der sie serviert werden, damit die lockere Schichtung erhalten bleibt. Man umspritze den Kastanienreis mit Schlagsahne, garniere mit eingemachten Kirschen, die leicht mit Kognak parfümiert werden.
Der freundliche Wärter namens Juliao steckte den Kopf herein. »Schick mir den Küchenchef«, sagte Thomas und drückte Juliao einen 100-Escudo-Schein in die Hand. »Ich will mit ihm das Menu für heute zusammenstellen.«
4
»Na, wie schmeckt’s? So gut wie damals in Münster?« fragte Thomas Lieven vier Stunden später. An einem sorgfältig gedeckten Tisch saß er in seiner Zelle dem Buckligen gegenüber. Der wischte sich den Mund und stöhnte vor Entzücken: »Besser, mein Kleiner, besser! Nach so einem Rippenspeer traue ich mir zu, sogar dem verehrten Herrn Ministerpräsidenten Salazar die Brieftasche zu ziehen!«
»Einen Schuß mehr Rum hätte der Koch dazugeben sollen.«
»Die Kerle saufen immer alles selber«, sagte Lazarus. »Damit ich mich gleich für dieses Essen revanchiere, mein Kleiner, will ich dir einen ersten Hinweis geben.«
»Das ist nett von dir, Lazarus. Noch ein bißchen Püree?«
»Ja, bitte. Schau mal, wir sind begütert, wir haben Penunze. Da ist es kein Kunststück, gutes Essen zu kriegen. Aber was machst du, wenn sie dich einlochen, und du bist pleite? Das Wichtigste in der Haft ist die gute Ernährung. Du bekommst sie, wenn du zuckerkrank bist.«
»Aber wie werde ich zuckerkrank?«
»Das will ich dir gerade verraten«, erklärte Lazarus mit vollen Hamsterbacken. »Du meldest dich zunächst mal dauernd zur Visite beim Anstaltsarzt. Dir ist einfach dauernd schlecht. In
Weitere Kostenlose Bücher