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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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der nervöse Mund nicht mehr.
    »Lazarus …«, stöhnte Thomas Lieven.
    Da öffnete der kleine Bucklige die Augen. Getrübt schon waren die Pupillen, aber trotzdem erkannte Lazarus noch den Mann, der sich über ihn neigte. Er ächzte: »Hau ab, Jean, hau schnell ab, das hat dir gegolten …« Ein Schwall Blut quoll aus seinem Mund.
    »Nicht sprechen, Lazarus«, flehte Thomas seinen Freund an. Aber der Bucklige flüsterte: »Der Kerl hat Leblanc gerufen, bevor … Er hat mich für dich gehalten …«
    Thomas schossen Tränen in die Augen, Tränen der Wut und der Trauer. »Nicht reden, Lazarus … Es kommt gleich ein Arzt … Sie werden dich operieren …«
    »Es – es ist zu spät …« Der Bucklige sah Thomas an, und plötzlich grinste er – listig und verschmitzt – und stieß mühsam hervor: »Schade, Kleiner … Wir hätten noch ein paar schicke Dinger drehen können …« Dann war das Grinsen weggewischt. Die Augen brachen.
    Als Thomas Lieven sich von seinem toten Freund erhob, wichen die Menschen vor ihm zurück und ließen ihn schweigend aus ihrer Mitte treten. Denn sie sahen, daß er weinte.
    Durch einen Tränenschleier erblickte Thomas Chantal und Pereira, die abseits von der aufgeregten Menge standen. Schwankend ging er zu ihnen. Er stolperte und wäre gestürzt, wenn der Maler ihn nicht aufgefangen hätte.
    Von der Straße her kamen zwei Polizisten und ein Arzt in den Hof gelaufen. Indessen der Arzt den Toten untersuchte, redeten sämtliche Anwesenden auf die Polizisten ein. Immer mehr Neugierige strömten zusammen, schrilles Stimmengewirr erfüllte den alten Hof.
    Thomas wischte sich die Augen und sah Chantal an. Er wußte: Wenn er jetzt nicht augenblicklich handelte, war es zu spät. Im Bruchteil einer Sekunde, im Heben und Senken der Lider, entschied er sein Schicksal …
    Zwei Minuten später hatten die Polizisten den Schilderungen der aufgeregten Augenzeugen entnommen, daß ein fremder Mann sich um den Sterbenden bemüht und mit ihm als letzter gesprochen hatte.
    »Wo ist der Mann?«
    »Da rübergegangen!« rief eine alte Frau. Sie wies mit einem knochigen Finger zum Eingang des Hinterhauses. Dort stand Pereira, der Maler. Er stand jetzt allein.
    »Sie da, he!« rief ein Polizist. »Wo ist der Mann, der mit dem Sterbenden gesprochen hat?«
    »Keine Ahnung«, sagte Pereira.
    Gleichzeitig drückte der Arzt dem Erschossenen die Augen zu. Im Tode strahlte das häßliche Gesicht des Lazarus Alcoba eine große Würde aus.
    14
    In den Pyrenäen war es kalt. Schneidender Ostwind tobte über dem kargen, roterdigen Kettengebirge, welches das spanische Aragonien vom südlichen Frankreich trennt.
    In der Morgendämmerung des 23. November 1940 bewegten sich zwei einsame Wanderer in nördlicher Richtung auf den Paß von Roncesvalles zu, eine junge Frau und ein junger Mann. Sie trugen beide Bergschuhe, Filzhüte und gefütterte Windjacken. Beide schleppten schwere Rucksäcke. Die Frau ging zuerst. Der Mann folgte ihr durch dichten Wald und Unterholz bergauf.
    Nie zuvor in seinem Leben hatte Thomas Lieven schwere Bergschuhe an den Füßen gehabt, nie in seinem Leben hatte er eine gefütterte Windjacke getragen. Er war auch noch nie auf schwierigen und gefährlichen Pfaden im Gebirge herumgeklettert. Traumhaft und unwirklich wie alles in den letzten fünf Tagen erschien ihm auch diese Morgenstunde mit ihren Nebeln und grauen Schatten, in welcher er hinter Chantal Tessier auf die Staatsgrenze Frankreichs zustapfte, mit wundgelaufenen Fersen und Blasen an den Fußsohlen.
     
    Eine großartige Person war diese Chantal Tessier, ein wirklicher Kamerad – das hatte er in jenen fünf Tagen erfahren. Sie kannte Portugal und Spanien tatsächlich wie ihre Tasche, sie kannte die Zollbeamten, die Polizeistreifen in den Zügen, sie kannte Bauern, die einen Fremden übernachten ließen und ihm zu essen gaben, ohne Fragen zu stellen.
    Die Hose, die er trug, die Schuhe, die Windjacke, der Hut, das alles stammte von Chantal, sie hatte es für ihn gekauft. Und auch das Geld in seinen Taschen stammte von ihr. Sie hatte es ihm gegeben – »vorgestreckt«, wie sie es nannte.
    Von Lissabon waren sie mit der Bahn bis hinauf nach Valencia gefahren. Es hatte zwei Kontrollen gegeben. Beiden war Thomas mit Hilfe von Chantal entronnen. Nachts waren sie über die Grenze nach Spanien gegangen. Über Vigo, León und Burgos waren sie weitergefahren. In Spanien gab es viel mehr Kontrollen und viel mehr Polizei. Trotzdem war

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