Es muss nicht immer Mord sein
Ich glaube, sie
dachten, es wäre nett, mich irgendwie mit einzubeziehen, und da sie so viele
Brautjungfern hatten, wäre es auch höchst unhöflich gewesen, mich nicht zu
fragen; bloß war die Hochzeit mit dem Einsetzen meiner ersten Periode und einem
Ausbruch von Akne zusammengefallen, und ich hatte den Tag damit verbracht,
fortwährend aufs Klo zu rennen, um mir entweder Clearasil auf die Pickel zu
schmieren oder nachzusehen, ob auch nichts auf mein fliederfarbenes Kleid
durchgesickert war. Glücklicherweise wurden die Fotos gemacht, während ich
gerade mal wieder die Damentoilette aufsuchte, und so gibt es keine Dokumente
meiner Anwesenheit.
»Ich finde, um Brautjungfer zu sein, bin ich
wirklich zu alt«, sagte ich zögernd, als sich eine Pause in den Plänen für die
Feier ergab.
»Blödsinn. Du siehst sowieso nicht aus wie
achtundzwanzig«, sagte Reg und fügte eilig hinzu: »Nicht daß achtundzwanzig alt
wäre, natürlich.«
»Ich meine einfach, daß die Leute es vielleicht
ein bißchen albern finden könnten.«
»Oh«, sagte meine Mutter, offensichtlich
enttäuscht. »Und ich hatte so ein hübsches Kleid für dich gesehen.«
»Ich freue mich echt für euch, und so weiter«,
beharr-te ich, »aber...«
»Schon o.k. Ich hatte mir schon gedacht, daß du
möglicherweise nicht möchtest«, sagte Mutter. »Vielleicht könntest du das Kleid
ja trotzdem kriegen...«
»Nein, wirklich nicht«, sagte ich hastig. »Ich
besorg’ mir schon selber was.«
»Es ist von Vivienne Westwood, glaube ich. Eine Art
altgoldene Seide — sieht ein bißchen aus wie Empirestil. Es würde dir stehen.
Na schön, war ja nur so ’ne Idee. Mach, was du willst. Das tust du ja
meistens.«
Nun, da sie es beschrieben hatte, hörte sich das
Kleid ziemlich toll an, aber ich konnte ja schlecht einen Rückzieher machen.
Ein paar Sekunden lang herrschte Sülle zwischen uns, dann riß ich mich zusammen
und sagte fröhlich: »Und was ist mit deinem Kleid?«
»Nicht vor dem Bräutigam«, meinte meine Mutter
und fügte, um das Thema zu wechseln, hinzu: »Was hältst du denn von der
Obstcreme?«
Ich sagte, sie sei ganz wunderbar. Die Himbeeren
kamen frisch aus dem Garten, und Mutter hatte einen Schuß Holunderblütenlikör
hinzugefügt. Das Ganze schmeckte ziemlich sahnig, und ich fragte mich, ob Reg
so etwas essen sollte.
»Fettarmer Frischkäse«, sagte meine Mutter, als
hätte sie meine Gedanken gelesen. »Komm, hilf mir beim Abwasch, dann erzähle
ich dir von meinem Kleid.«
Ich trocknete die Fischterrine ab, während
Mutter den Herd und die Arbeitsplatte abwischte; Reg hatte es sich außer
Hörweite im Vorderzimmer bequem gemacht und sah sich im Fernsehen die tägliche
Zusammenfassung aus Wimbledon an.
»Was hat euch denn nun zu der Entscheidung
bewegt?« fragte ich.
»Na ja, ich glaube, es war der Streß«, sagte
sie.
»Streß?« wiederholte ich, um zu checken, ob ich
sie auch richtig verstanden hatte. Abgesehen davon, daß er mal ein paar Töpfe
mit Setzlingen aus dem Floramarkt herbeigeschleppt hatte, konnte ich mir Reg
unter Streß einfach nicht vorstellen.
»Der Doktor hat gesagt, er stehe mächtig unter
Streß. Anscheinend hat er mit Reg gesprochen und ihn gefragt, ob ihm irgendwas
in seinem Leben Kopfschmerzen bereitet, und Reg hat gesagt, er mache sich
ständig Sorgen um unsere Beziehung. Bloß weil ich ihn nicht heiraten wollte,
hat er anscheinend geglaubt, ich sei drauf und dran, ihn im nächsten Moment zu
verlassen...«
»Wie rührend!«
»Na ja, der Doktor hat in aller Ruhe ein
Wörtchen mit mir geredet, und ich hab’ mir gedacht, also schön, wenn der
Bursche davon einen Herzanfall kriegt, sollte ich wohl schon aus reinem Anstand
einen ehrbaren Mann aus ihm machen...«
Mutter hatte dieses Scherzchen offenbar geübt,
denn sie brachte es mit erhobener Stimme dar und machte danach eine Kunstpause,
in der sie auf mein Gelächter wartete. Ich tat ihr den Gefallen.
»Das Schwierige war dann, ihn dazu zu bringen,
daß er mir noch mal einen Antrag macht...«
»Hättest denn nicht du ihm einen machen können?«
Eine dämliche Frage, wie mir klar wurde, noch bevor ich sie richtig
ausgesprochen hatte. Meine Mutter mag ja in den Sechzigern ganz schön auf den
Putz gehauen haben, aber der Feminismus scheint voll an ihr vorbeigegangen zu
sein (obschon ich sagen muß, daß sie immer bekommt, was sie will).
»Es gibt da dieses hübsche Lokal, wo man abends
manchmal tanzen kann. Da sind wir gewesen, als Reg mir das letztemal
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