Es muss nicht immer Mord sein
Herbstsachen
gesteckt. Momentan kämpfte er mit einer Reitjacke und einer extrem
widerspenstigen Schaufensterpuppe, deren steife Glieder nicht gewillt schienen,
an einem derart heißen Abend groben Tweed zu akzeptieren. Ich mußte lachen,
weil mir Jools einfiel, und wie sie sich letztes Wochenende ironisch als
»menschlichen Kleiderständen beschrieben hatte.
Erst später kam mir in den Sinn, daß es schon
seltsam war, wenn Jools und ihre Freundinnen noch immer für den Herbstkatalog
fotografiert wurden, wo doch schon die Wintersachen in die Läden kamen.
Ich dachte zu diesem Zeitpunkt nicht groß
darüber nach, denn ich steckte in meiner privaten Freitagabend-Euphorie. Ich
war unterwegs zum Dinner in Pinner. Reg war im Laufe der Woche aus dem
Krankenhaus entlassen worden, und meine Mutter kochte gerade ein
cholesterinfreies Abendessen zur Feier seiner Genesung.
Kapitel Sechs
Weil ich
nicht recht wußte, ob Reg schon
wieder Alkohol trinken durfte, kaufte ich neben Sekt auch eine Flasche Aqua
Libra.
»Echt widerliches Zeug, davon krieg’ ich
Blähungen«, sagte der Besitzer des Schnapsladens.
»Vom Sekt?« fragte ich.
»Nee, dieses Kräuterzeugs. Nichts als ein
bißchen Wasser mit irgendeinem neumodischen Aromastoff drin, und dafür nehmen
sie soviel wie für eine Flasche absolut akzeptablen Frascati. Ich wundere mich,
daß die Leute so blöd sind.«
Ich bezahlte und bereute dabei fast, nicht in
den Supermarkt gegangen zu sein. Dort waren die Alkoholika billiger, und die
anonymen Kassierinnen gaben einem wenigstens nicht das Gefühl, ein Idiot zu
sein, weil man der Werbung auf den Leim gegangen war. Aber ich hatte den
Schnapsladenbesitzer seit meiner Kindheit gekannt und verspürte eine Art
unangebrachter Loyalität.
»Das ist für Reg. Vielleicht darf er ja keinen
Alkohol trinken, wissen Sie, nach dem Krankenhaus...«
»Ich hab’ ihm ein paar Gin-Tonics
reingeschmuggelt, als ich ihn besucht habe«, sagte der Ladenbesitzer und zwinkerte
mir zu. »Die scheinen ihm jedenfalls nichts geschadet zu haben.«
»Na ja, ich mag das Zeug sowieso ganz gern«,
sagte ich im Gefühl, meinen Einkauf irgendwie verteidigen zu müssen und
streckte die Hand nach der Plastiktüte aus.
»Moment mal. Geben Sie ihm das, mit besten
Grüßen von mir«, sagte der Ladenbesitzer.
Es war eine Flasche guter Bordeaux. »Ich hab’
neulich ’nen Artikel gelesen, da stand drin, daß die Franzosen wegen dem guten
alten vin rouge weniger Herzanfälle kriegen...«
»Na klar, ihre Leber bringt sie um, ehe sie alt
genug sind, es am Herzen zu bekommen«, sagte ich und schenkte ihm ein
bezauberndes Lächeln.
Die elektronische Türglocke, die neunundneunzig
verschiedene Melodien spielen kann und eines Weihnachtens von Reg als Überraschungsgeschenk
für Mutter installiert worden war, war darauf programmiert, die ersten zehn
Noten von >Summertime< zu spielen. Sie ärgerte mich stärker als sonst,
weil das eines meiner Lieblingslieder ist. Ich kann mich ja noch halbwegs damit
abfinden, wenn in der Adventszeit Jingle Bells< ertönt, reduziert auf ein
paar nervende, computergenerierte Töne, aber das war schon beinahe beleidigend.
Meine Mutter öffnete die Tür.
»Also ehrlich Mama, du solltest diese verdammte
Klingel bei Gelegenheit mal rein zufällig kaputtmachen. Das ist ja echt
peinlich«, sagte ich und ging an ihr vorbei.
»Wieso, magst du sie nicht?« sagte sie
gleichmütig. »Schick siehst du aus.«
Ich drehte mich einmal um die eigene Achse in
meinem terrakottafarbenen Shortsanzug aus Leinen.
Sie musterte mich und sagte: »Ich glaube, ich
würde dazu eine weiße Bluse tragen.«
Ich sah in den Dielenspiegel und merkte, daß sie
wie üblich recht hatte. Bei meiner blassen Haut stand mir die fahlgelbe
Seidenbluse wirklich nicht so toll. Wenn es um Klamotten geht, hat meine Mutter
einen unfehlbaren Geschmack.
Sie trug ein dünnes Baumwollkleid mit einem
Spitzenkragen und sah sehr sommerlich aus. Ich habe nie herausgefunden wie es
meine Mutter schafft, sich hinzusetzen, ohne daß jemals der Rock zerknittert
wird. Sie wirkt stets wie gerade frisch gereinigt und gebügelt, so sehr, daß mich
das Chanel-Parfüm, das sie immer trägt, fast überraschte, als ich mich
vorbeugte und sie küßte, weil ich den Geruch von frischer Stärke erwartet
hatte.
»Wie geht’s dem Invaliden?« fragte ich.
»Offenbar viel besser«, sagte Mutter und
lächelte mir zu. Es war ein ziemlich seltsames Lächeln, das etwas
Geheimnistuerisches an
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