Es: Roman
miteinander. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als im Fernsehzimmer, das sich an die Küche anschloss, so viel geredet und gelacht wurde, dass man den Fernseher manchmal überhaupt nicht mehr hörte. »Halt die Klappe, Georgie!«, schrie Bill beispielsweise. »Nur wenn du aufhörst, das ganze Popcorn aufzufressen!«, rief George. »Ma, sag Bill, er soll mir das Popcorn geben.« »Gib ihm das Popcorn, Bill. Und nenn mich nicht Ma, George. Das hört sich an, als würde ein Schaf blöcken.« Oder sein Vater erzählte Witze, und alle lachten darüber, sogar seine Mutter. George verstand die Witze nicht immer, aber er lachte mit, weil alle anderen lachten.
In jener Zeit waren seine Eltern auch schon die Buchstützen auf der Couch gewesen – aber er und Georgie waren die Bücher gewesen. Bill hatte nach Georgies Tod versucht, beim Fernsehen ein Buch zwischen ihnen zu sein, aber jetzt war es dort kalt. Sie strahlten von beiden Seiten Kälte aus, und Bills Defroster war einfach nicht stark genug dafür. Schließlich musste er aufstehen, weil diese Art von Kälte seine Wangen erstarren ließ und ihm das Wasser in die Augen trieb.
»S-Soll ich euch einen W-Witz erzählen, den ich heute in der Sch-Sch-Schule gehört habe?«, hatte er einmal, vor einem Monat, schüchtern gefragt.
Stille auf beiden Seiten. Auf dem Bildschirm bat ein Krimineller seinen Bruder, der Priester war, ihn zu verstecken.
Bills Vater schaute von seinem True -Männermagazin auf und warf Bill einen erstaunten Blick zu, bevor er sich wieder in die Zeitschrift vertiefte. Dort war ein Bild von einem Jäger abgebildet, der lang ausgestreckt in einer Schneewehe lag und einen riesigen zähnefletschenden Eisbären anstarrte. »Zerfleischt vom Killer der weißen Wüste« lautete der Titel des Artikels. Ich weiß, wo es noch eine weiße Wüste gibt – hier auf dieser Couch, genau zwischen meinen Eltern, hatte Bill in diesem Moment gedacht.
Seine Mutter reagierte überhaupt nicht.
»Es g-g-geht d-darum, wie viele F-F-Franzosen man benötigt, um eine G-G-Glühbirne einzuschrauben«, fuhr Bill verzweifelt fort. Er spürte, wie sich auf seiner Stirn ein dünner Schweißfilm bildete, wie es auch manchmal in der Schule passierte, wenn er wusste, dass die Lehrerin ihn nun schon sehr lange ignoriert hatte und ihn bald aufrufen musste. Seine Stimme war viel zu laut, aber er schien sie nicht senken zu können. Die Worte dröhnten in seinem Kopf wie außer Kontrolle geratene Glocken, blieben stecken, kamen nur mühsam heraus.
»W-W-Wisst ihr, w-w-w-wie viele?«
»Einen, um die Glühbirne zu halten, und vier, um das Haus zu drehen«, sagte Zack Denbrough abwesend, ohne von seiner Zeitschrift aufzublicken.
»Hast du was gesagt, Liebling?«, fragte seine Mutter, und im Fernseher sagte der Priester seinem Bruder, der ein Gangster war, er solle umkehren und um Vergebung beten.
Bill saß schwitzend auf dem Sofa, zwischen seinen Eltern, aber ihm war kalt, furchtbar kalt. Ihn fror, weil er nicht das einzige Buch zwischen diesen beiden Couch-Enden war; George war noch immer hier im Zimmer, obwohl Bill ihn nicht sehen konnte, ein George, der nie mehr rief, Bill solle nicht das ganze Popcorn auffressen oder Bill habe ihn gezwickt. Irgendwie war Georgie trotzdem gegenwärtig, ein bleicher, einarmiger Georgie, der im matten weißbläulichen Licht des Fernsehers nachdenklich schwieg, ein Georgie, von dem eine betäubende, tödliche Kälte ausging; vielleicht war Georgie der wahre Killer aus der weißen Wüste. Bill rannte vor diesem kalten, unsichtbaren Bruder davon und in sein Zimmer, wo er sich aufs Bett warf und in sein Kissen weinte.
In Georges Zimmer war alles noch wie an dem Tag, als er starb. Zack hatte etwa zwei Wochen nach Georges Beerdigung angefangen, seine Spielsachen in einen Karton zu packen, um sie der Heilsarmee oder einer anderen wohltätigen Einrichtung zu spenden. Als Sharon Denbrough sah, wie ihr Mann mit der Kiste im Arm aus dem Zimmer kam, waren ihre Hände wie aufgeschreckte weiße Vögel zu ihrem Kopf geflogen, wo sie sich zu Fäusten ballten und an ihren Haaren rissen. Bill, der das alles beobachtet hatte, gaben die Beine nach und er sackte gegen die Flurwand. Seine Mutter sah so verrückt aus wie Elsa Lanchester in Frankensteins Braut.
»WAG es ja nicht, seine Sachen anzurühren!«, hatte sie gekreischt.
Zack war heftig zusammengezuckt und hatte die Kiste mit Spielsachen wortlos zurück in Georges Zimmer gebracht. Er stellte sie sogar exakt dorthin
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