Es: Roman
Jungen verließen die Barrens gemeinsam. Ben half Bill, Silver die Uferböschung hinaufzuschieben. Eddie folgte ihnen langsam. Sein Atem ging wieder pfeifend, und er betrachtete unglücklich sein blutbeflecktes Hemd.
Bill verabschiedete sich und fuhr los, aus voller Kehle »Hiyo, Silver, LOOOS! «, brüllend.
»Das ist ja ein gigantisches Rad!«, rief Ben.
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Eddie zu. Er hatte inzwischen noch einmal sein Asthma-Spray benutzt und atmete wieder normal. »Manchmal nimmt er mich auf dem Gepäckträger mit. Er fährt so schnell, dass ich mir vor Angst fast in die Hosen mache. Er ist ein guter Kerl – Bill, meine ich.« Letzteres klang eher beiläufig, aber seine Augen, die Bill folgten, sagten noch viel mehr. Sie drückten Verehrung aus. »Du weißt doch über seinen Bruder Bescheid?«
»Was meinst du?«
»Er wurde letzten Herbst ermordet«, sagte Eddie. »Jemand hat ihn umgebracht. Hat ihm einen Arm ausgerissen, ganz einfach so, wie man einer Fliege den Flügel ausreißt.«
»Herr -gott! «
»Ja. Vorher hat Bill nur ein bisschen gestottert. Jetzt ist es echt schlimm. Ist dir aufgefallen, dass er stottert?«
»Na ja … ein bisschen.«
»Aber sein Hirn stottert nicht – du verstehst, was ich meine?«
»Ja.«
»Jedenfalls, wenn du willst, dass Bill dein Freund wird, dann sprich lieber nicht über seinen kleinen Bruder George. Stell ihm keine Fragen oder so. Er ist deshalb total verstört.«
»Mann, das wäre ich auch«, sagte Ben. Er erinnerte sich jetzt vage an den kleinen Jungen, der im vergangenen Herbst ermordet worden war. Er fragte sich, ob seine Mutter an George Denbrough gedacht hatte, als sie ihm die Uhr schenkte, die er jetzt trug, oder eher an die jüngeren Morde. »Ist es direkt nach der großen Überschwemmung passiert?«
»Ja.«
Sie hatten die Ecke von Kansas Street und Jackson Street erreicht. Hier trennte sich ihr Heimweg. Kinder rannten hin und her, spielten Fangen und Ball. Ein kleiner Junge in viel zu großen blauen Shorts trottete selbstgefällig an Ben und Eddie vorbei; er hatte eine Waschbärmütze verkehrt herum aufgesetzt, sodass ihm der Schwanz zwischen den Augen baumelte, und er rollte einen Hula-Hoop-Reifen vor sich her.
Die beiden Jungen blickten ihm amüsiert nach, dann sagte Eddie: »Na, ich muss gehen.«
»Warte kurz«, sagte Ben. »Ich hab eine Idee, wenn du wirklich nicht zur Notaufnahme gehen möchtest.«
»Ach ja?« Eddie sah Ben zweifelnd, aber doch mit schwacher Hoffnung an.
»Hast du ein Fünfcentstück?«
»Ein Zehncentstück. Was soll ich damit?«
Ben betrachtete die trocknenden rotbraunen Flecken auf Eddies Hemd. »Geh in den Drugstore und bestell dir eine Schokoladenmilch. Gieß die Hälfte über dein Hemd und erzähl deiner Mutter, du hättest das ganze Glas verschüttet.«
Eddies Augen leuchteten auf. In den vier Jahren nach dem Tod seines Vaters hatten die Augen seiner Mutter sehr nachgelassen. Aus Eitelkeit (und weil sie sowieso nicht Auto fahren konnte) weigerte sie sich, zum Augenarzt zu gehen und sich eine Brille verschreiben zu lassen. Getrocknete Blutflecken und Schokoladenmilchflecken sahen ziemlich ähnlich aus. Vielleicht …
»Das könnte hinhauen«, sagte er.
»Erzähl ihr nur nicht, dass es meine Idee war, wenn sie’s rauskriegt.«
»Auf keinen Fall«, sagte Eddie. »Seeya later, alligator.«
»Okay.«
»Nein«, sagte Eddie geduldig. »Wenn ich das sage, musst du antworten: ›After awhile, crocodile‹.«
»Oh. After awhile, crocodile.«
»Jetzt hast du’s kapiert.« Eddie lächelte.
»Weißt du was?«, sagte Ben. »Ihr Jungs seid echt klasse.«
Eddie sah nicht nur verlegen, sondern fast nervös aus. »Bill ist klasse«, sagte er und trottete davon.
Ben blickte Eddie noch ein Weilchen nach, dann machte er sich ebenfalls auf den Heimweg, aber schon nach drei Blocks sah er an der Bushaltestelle Jackson Street und Main Street drei ihm nur allzu bekannte Gestalten. Glücklicherweise standen sie mit dem Rücken zu ihm. Rasch versteckte er sich hinter einer Hecke. Sein Herz klopfte laut. Fünf Minuten später kam der Bus, und die drei Burschen traten ihre Zigaretten aus und stiegen ein.
Ben wartete, bis der Bus außer Sicht war, und eilte dann nach Hause.
8
An jenem Abend hatte Bill Denbrough ein schreckliches Erlebnis. Und das schon zum zweiten Mal.
Seine Eltern saßen unten vor dem Fernseher, die Mutter an einem Couchende, der Vater am anderen – wie Buchstützen. Sie redeten nicht viel
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