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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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pornografisch vorgekommen, das war das Wort, das ihr nicht einfiel, wahrscheinlich weil sie es noch nie in ihrem Leben ausgesprochen hatte, obwohl sie natürlich wusste, was es bedeutete. »Aber Stan hatte das Gefühl, einen seiner Freunde aus der Kindheit wiedergefunden zu haben … er sprach davon, dass er ihm schreiben wolle, aber ich wusste, dass er es nicht tun würde … ich wusste, dass all diese Geschichten auch ihn irgendwie verstörten … und … und …«
    Patty brach in Tränen aus.
    An jenem Abend, etwa sechs Monate weniger als achtundzwanzig Jahre nach dem Tag des Jahres 1957, als George Denbrough den Clown Pennywise kennengelernt hatte, saßen Stanley und Patty Uris im Wohnzimmer ihres Hauses in einem Vorort von Atlanta. Der Fernseher war eingeschaltet, und Patty saß vor dem Bildschirm und teilte ihre Aufmerksamkeit zwischen ihrer Näharbeit und ihrer Lieblingssendung Familien-Duell. Sie vergötterte den Moderator Richard Dawson einfach und fand die Uhrkette, die er immer trug, ausgesprochen sexy, obwohl keine zehn Pferde sie dazu gebracht hätten, das zuzugeben. Die Sendung gefiel ihr auch, weil sie immer die am häufigsten genannten Antworten wusste (bei Familien-Duell gab es keine richtigen Antworten; nur die am häufigsten genannten). Sie hatte Stan einmal gefragt, warum die Fragen, die ihr so leicht vorkamen, den Familien in der Sendung so schwer vorzukommen schienen. »Es ist vermutlich viel schwerer, wenn man da im Scheinwerferlicht steht und alle Kameras auf einen gerichtet sind«, hatte Stanley erwidert, und ihr war, als hätte sich in diesem Moment ein Schatten über sein Gesicht gelegt. »Alles ist sehr viel schwerer, wenn man selbst betroffen ist. Dann kann man sehr leicht das Gefühl haben zu ersticken. Wenn es einen direkt angeht.«
    Seine Erklärung schien ihr sehr einleuchtend zu sein. Stanley besaß manchmal erstaunliche Einsicht in die menschliche Natur. Viel schärfere, so dachte sie, als sein alter Freund William Denbrough, der reich geworden war, indem er Horrorgeschichten schrieb und die niederen Instinkte der Menschen ansprach.
    Nicht dass es ihnen selbst schlecht gegangen wäre: Ihr Vorort galt als vornehme Wohngegend, und das Haus, das sie 1979 für 87 000 Dollar erworben hatten, würde sich inzwischen problemlos für etwa 165 000 Dollar verkaufen lassen – nicht dass sie es verkaufen wollte, aber es war immer gut, solche Dinge zu wissen. Wenn sie manchmal in ihrem Volvo (Stanley fuhr einen Mercedes Diesel) von der Fox Run Mall zurückkehrte und ihr geschmackvoll hinter niedrigen Eibenhecken liegendes Haus sah, dachte sie: Wer wohnt hier? Na, ich! Mrs. Stanley Uris wohnt hier! Es war kein vollends glücklicher Gedanke, denn er war vermischt mit so viel bitterem Stolz, dass ihr etwas unbehaglich zumute war. Einem einsamen achtzehnjährigen Mädchen namens Patricia Blum war einmal der Zutritt zur Party nach dem Schulabschlussball verwehrt worden, die im Country Club jener Kleinstadt Glointon im Bundesstaat New York stattfand, wo Patricia aufgewachsen war – natürlich aufgrund ihres Familiennamens Blum, natürlich deshalb, weil sie eine kleine, dürre Jüdin war. Das war 1967 gewesen, und eine solche Diskriminierung war natürlich gesetzeswidrig – ha-ha-ha-ha – und darüber hinaus lag das lange hinter ihr. Nur würde es für einen Teil von ihr niemals lange zurückliegen; ein Teil von ihr würde immer wieder mit Michael Rosenblatt über den Kiesweg, auf dem ihre Pumps und seine geliehenen feinen Schuhe knirschende Geräusche machten, zum Auto seines Vaters zurückgehen, das er sich für jenen Abend ausgeliehen und am Nachmittag auf Hochglanz poliert hatte, Michael in seinem weißen geliehenen Dinnerjackett – wie hatte es in jener milden Frühlingsnacht geleuchtet! – und sie selbst in einem hellgrünen Abendkleid, in dem sie, wie ihre Mutter erklärte, wie eine Meerjungfrau aussah, aber die Vorstellung von einer Juden-Meerjungfrau war verdammt komisch, ha-ha-ha. Sie waren hocherhobenen Hauptes gegangen und sie hatte nicht geweint – noch nicht -, nur waren sie eben nicht zum Auto gegangen, nein, sie waren geschlichen, und nie zuvor hatten sie sich so jüdisch gefühlt wie an jenem Abend; sie hatten das Gefühl gehabt, Pfandleiher oder Viehhändler zu sein, lange krumme Nasen und eine fahle Haut zu haben, Itzigs, Shylocks – eben Juden zu sein. Sie wollte wütend sein, konnte es aber nicht; die Wut war erst später gekommen, als es nicht mehr von Bedeutung war. In

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