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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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seiner Armbanduhr.
    »Die Schildkröte konnte uns nicht helfen«, sagte er plötzlich. Er sagte es ganz deutlich. Er hatte immer noch diesen nach innen gewandten Blick – jenen Ausdruck nachdenklicher Überraschung -, und das jagte ihr langsam Angst ein.
    »Stanley? Wovon redest du eigentlich? Stanley? «
    Er zuckte heftig zusammen und fegte dabei aus Versehen die Schale mit Pfirsichen vom Tisch. Sie fiel zu Boden und zerbrach. Seine Augen wurden plötzlich wieder klar.
    »Oh, Scheiße! Tut mir leid.«
    »Das macht nichts. Stanley – wovon hast du geredet?«
    »Ich hab’s vergessen«, sagte er. »Aber ich glaube, dass Georgia das Richtige ist, Liebling.«
    »Aber …«
    »Vertrau mir«, sagte er, und das hatte sie auch getan.
    Das Vorstellungsgespräch war großartig gelaufen, und sie wusste, dass sie die Stelle bekommen würde, als sie im Zug zurück nach New York saß. Der Dekan der Wirtschaftsfakultät hatte sie auf Anhieb sympathisch gefunden und sie ihn ebenfalls. Der Brief kam eine Woche später. Man bot ihr 9200 Dollar im Jahr und einen Probevertrag an.
    »Ihr werdet verhungern«, sagte Herbert Blum, als seine Tochter ihm eröffnete, sie wolle den Job annehmen. »Und ihr werdet schwitzen, während ihr verhungert.«
    »Fiedel-di-di, Scarlett«, hatte Stanley erwidert, als sie ihm mitteilte, was ihr Vater gesagt hatte. Sie war wütend und den Tränen nahe gewesen, aber da fing sie an zu kichern, und Stanley nahm sie in die Arme.
    Geschwitzt hatten sie, aber verhungert waren sie nicht. Sie hatten am 19. August 1972 geheiratet, und Patty Uris war in ihrer Hochzeitsnacht noch Jungfrau gewesen. Sie war nackt zwischen die kühlen Laken eines Hotels in den Poconos geschlüpft, und ihre Stimmung war aufgewühlt und stürmisch – Blitze des Begehrens und köstlicher Lust, dunkle Gewitterwolken der Angst. Als Stanley nackt zu ihr ins Bett geschlüpft kam, mit seinen kräftigen Muskeln und dem Penis, der wie ein Ausrufungszeichen aus rotblondem Schamhaar ragte, hatte sie geflüstert: »Tu mir nicht weh.«
    »Niemals«, hatte er gesagt, während er sie zärtlich in die Arme nahm, und dieses Versprechen hatte er treu gehalten – bis zum 28. Mai 1985, dem Abend des Bades.
    Ihre Lehrtätigkeit klappte von Anfang an gut. Stanley hatte anfangs einen Job als Fahrer eines Bäckerei-Lieferwagens für hundert Dollar wöchentlich, und als im November jenes Jahres das neue Einkaufszentrum in Traynor eröffnet wurde, hatte er eine Stelle im Büro der Steuerberatungsgruppe H&R Block bekommen, mit hundertfünfzig Dollar wöchentlich. Ihr gemeinsames Einkommen betrug damals 17 000 Dollar im Jahr, was für jene Zeit sehr ordentlich war, als ein Liter Benzin knapp acht Cent und ein Brotlaib einunddreißig Cent kosteten. Im März 1973 hatte Patty Uris ohne großes Aufheben ihre Antibabypillen weggeworfen.
    Im Jahre 1975 hatte Stan seine Stelle bei H&R Block aufgegeben und seine eigene Kanzlei eröffnet. Sowohl seine als auch Pattys Eltern hielten das für einen tollkühnen Schritt. Natürlich sollte Stan seine eigene Kanzlei haben! Aber es war zu früh, darin waren sich alle vier einig, und es bürdete Patty einen zu großen Teil der finanziellen Belastung auf. (»Zumindest bis der Schmock sie schwängert«, hatte Herbert Blum seinem Bruder nach einem durchzechten Abend am Küchentisch mürrisch erzählt. »Und dann werde ich die Belastung tragen müssen.«) Die allgemeine Meinung der Schwiegereltern war, dass ein Mann an ein eigenes Geschäft nicht einmal denken sollte, bevor er nicht ein gesetzteres, reiferes Alter erreicht hatte – achtundsiebzig Jahre oder etwas in dieser Art.
    Wieder schien Stanley fast übernatürlich zuversichtlich zu sein. Sicher hatte er während seiner Arbeit bei H&R Block Kontakte geknüpft; er war jung, ansehnlich, klug und geschickt. Aber er hatte doch nicht wissen können, dass Corridor Video, ein Pioneer im aufkeimenden Videogeschäft, auf einem riesigen Grundstück knapp fünfzehn Kilometer von dem Vorort entfernt, in den sie 1979 umgezogen waren, eine Niederlassung gründen würde oder dass Corridor Video ein Jahr später auf der Suche nach einem selbstständigen Marktforscher sein würde. Und selbst wenn er das alles gewusst hätte, hätte er doch bestimmt nicht glauben können, dass sie diesen Posten einem jungen Juden mit nördlichem Akzent geben würden, einem Brillenträger mit ungezwungenem Grinsen und letzten Spuren einer pubertären Akne im Gesicht – aber sie hatten es getan, und es schien

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