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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Ma’am, was haben Sie nur mit Ihrer Hand gemacht?« Betroffen hält er sie einen Augenblick fest.
    Sie schaut auf ihre Hand und sieht die abgebrochenen und tief eingerissenen Fingernägel, die sie sich beim Hochstemmen des Toilettentisches eingehandelt hat. Die Erinnerung an diese Szene schmerzt mehr als die Fingernägel, und das beendet ihren Lachanfall endgültig. Sie entzieht ihm sanft ihre Hand.
    »Ich hab sie am Flughafen in die Wagentür eingeklemmt«, erklärt sie und denkt an die unzähligen Male, da sie schon Lügen erzählt hat, um zu verschweigen, was Tom ihr antat und – viel früher – was ihr Vater ihr antat. Ist dies jetzt das letzte Mal, die letzte Lüge? Wie herrlich wäre das … fast zu schön, um wahr zu sein. Sie muss an einen Arzt denken, der zu einem Krebspatienten kommt und erklärt: Die Röntgenaufnahmen zeigen, dass der Tumor zurückgeht. Wir haben keine Ahnung, warum, aber es ist so.
    »Das muss ja höllisch wehtun«, sagt der junge Mann.
    »Ich habe ein paar Aspirin genommen.« Sie öffnet den Flugprospekt wieder, obwohl er bestimmt gemerkt hat, dass sie ihn schon zweimal von A bis Z gelesen hat.
    »Wohin fliegen Sie?«
    Sie schließt den Prospekt und schaut ihn lächelnd an. »Sie sind sehr nett«, sagt sie, »aber ich möchte mich nicht unterhalten. Okay?«
    »Okay«, sagt er und erwidert ihr Lächeln. »Aber wenn Sie in Boston etwas auf das Wohl der großen Ente trinken möchten, lade ich Sie dazu ein.«
    »Herzlichen Dank, aber ich muss dort einen Anschlussflug erreichen.«
    »Mannomann, war mein Horoskop für heute falsch!«, sagt er und schlägt sein Buch wieder auf. »Aber Sie haben ein herrliches Lachen. Ein Mann könnte sich allein deshalb in Sie verlieben.«
    Sie öffnet den Prospekt wieder, stellt jedoch gleich darauf fest, dass sie auf ihre eingerissenen Nägel anstatt auf den Artikel über die Vergnügungsmöglichkeiten in New Orleans schaut. Zwei sind blutunterlaufen. Sie hört im Geiste Tom die Treppe runter brüllen: »Ich bring dich um, du Drecksluder! Du verdammtes Drecksluder!« Sie friert plötzlich. Ein Luder in Toms Augen, ein Luder in den Augen jener Näherinnen, die vor wichtigen Modenschauen Pfuscharbeit lieferten und dafür eine gewaltige Standpauke bekamen, ein Luder in den Augen ihres Vaters, lange bevor Tom oder die unglückseligen Näherinnen in ihr Leben getreten waren.
    Ein Luder.
    Du Luder.
    Du verdammtes Luder.
    Sie schließt für kurze Zeit die Augen.
    Ihr Fuß, den sie sich bei ihrer Flucht aus dem Schlafzimmer an der Glasscherbe einer Parfumflasche geschnitten hat, tut weher als ihre Finger. Kay hat ihr ein Pflaster, ein Paar Schuhe und einen Scheck über tausend Dollar gegeben, den Beverly gleich um neun Uhr morgens bei der First Bank of Chicago am Watertower Square eingelöst hat.
    Kays Proteste ignorierend hat sie ihr auf einem Blatt Schreibmaschinenpapier ebenfalls einen Scheck über tausend Dollar ausgeschrieben. »Ich hab mal gelesen, dass sie einen Scheck annehmen müssen, ganz egal, worauf er geschrieben ist«, hat sie Kay erklärt. Ihre Stimme klang weit entfernt, wie aus einem Radio im Nebenraum. »Jemand hat einmal einen Scheck eingereicht, der auf ein Artilleriegeschoss geschrieben war. Ich glaub, ich hab’s im Großen Buch der Listen gelesen.« Nach kurzer Pause hat sie dann gezwungen gelacht. Kay sah sie nüchtern, fast feierlich an. »Lös ihn möglichst schnell ein, bevor Tom daran denkt, die Konten sperren zu lassen.«
    Obwohl sie keine Müdigkeit spürt (sie ist sich jedoch bewusst, dass nur noch ihre Nerven und Kays schwarzer Kaffee sie wachhalten), kommt ihr die vergangene Nacht wie ein Traum vor.
    Sie erinnert sich daran, dass ihr drei Teenager folgten; die Jungen pfiffen und riefen hinter ihr her, wagten es aber nicht, sie direkt zu belästigen. Sie erinnert sich an ihre Erleichterung, als sie an einer Kreuzung aus einem »Seven-Eleven« weißes Neonlicht auf den Gehsteig fallen sah. Sie ging hinein, ließ den pickeligen Mann an der Theke einen Blick in ihre alte Bluse werfen und überredete ihn, ihr vierzig Cent zum Telefonieren zu leihen.
    Sie rief zuerst Kay McCall an. Die Nummer kannte sie auswendig. Das Telefon klingelte ein Dutzend Mal, und sie befürchtete schon, dass Kay in New York sein könnte. Schließlich wurde der Hörer aber doch abgenommen, und Kays verschlafene Stimme murmelte: »Wer immer Sie auch sind, ich hoffe, Sie haben einen wirklich guten Grund, um diese Uhrzeit anzurufen.«
    »Ich bin’s, Kay – Bev«,

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