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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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es waren die Vogelnamen, die du ihnen zugerufen hast«, sagte Eddie. »Aber warum? In den Filmen hält man im Allgemeinen ein Kreuz hoch …«
    »… oder betet das Vaterunser …«, fiel Ben ein.
    »… oder den dreiundzwanzigsten Psalm«, fügte Beverly hinzu.
    »Ich kenne den dreiundzwanzigsten Psalm«, sagte Stan wütend, »aber ich glaube, das olle Kruzifix würde bei mir nicht so gut funktionieren. Ihr wisst ja, ich bin Jude.«.
    Sie schauten verlegen weg, entweder, weil er nun mal so geboren war, oder weil sie das ganz vergessen hatten.
    »Vögel«, wiederholte Eddie. »Jesus!« Dann warf er Stan wieder einen schuldbewussten Seitenblick zu, aber Stan starrte düster aus dem Fenster.
    »Bill wird wissen, was zu tun ist«, sagte Ben plötzlich, als stimmte er endlich Beverly und Eddie zu. »Ich wette, dass ihm etwas einfällt. Ja, ich wette um alles in der Welt.«
    »Seht mal«, sagte Stan und wandte sich ihnen wieder zu. »Das ist okay. Wir können mit Bill darüber reden, wenn ihr wollt. Ich habe nichts dagegen. Aber damit hört die Sache für mich auch auf. Ihr könnt mich einen Feigling oder eine elende Memme oder sonst was schimpfen, das ist mir egal. Ich weiß, dass ich kein Feigling bin. Es ist nur, dass diese Toten im Wasserturm …«
    »Wenn du dich vor so was nicht fürchten würdest, müsstest du verrückt sein, Stan«, sagte Beverly sanft.
    »Ja, ich hatte Angst, aber darum geht es nicht«, erwiderte Stan hitzig. »Begreift ihr denn nicht …«
    Sie blickten ihn erwartungsvoll an; er las in ihren Augen Unruhe und zugleich auch einen schwachen Hoffnungsschimmer, doch er konnte seine Empfindungen nicht ausdrücken. Ihm fehlten einfach die Worte. Seine Gefühle erdrückten ihn fast, aber er konnte sie nicht artikulieren. Trotz seiner Gewissenhaftigkeit und Klugheit war er letztlich doch nur ein elfjähriger Junge, der gerade erst die vierte Klasse abgeschlossen hatte.
    Er wollte ihnen erklären, dass es Schlimmeres gab, als sich zu fürchten. Man konnte Angst vor einem Autounfall, vor Kinderlähmung, vor Gehirnhautentzündung haben. Man konnte Angst vor diesem Irren Chruschtschow, vor dem Ertrinken und vor allen möglichen Sachen haben und trotzdem weiterleben.
    Aber diese Toten im Wasserturm …
    Er wollte ihnen sagen, dass diese toten Jungen, die in ihren tropfenden Jeans und verfaulten Schuhen die Wendeltreppe hinabgewatschelt waren, etwas Schlimmeres getan hatten, als ihn zu ängstigen: Sie hatten ihn verletzt.
    Verletzt, ja, das war das einzige Wort, das ihm einfiel, und wenn er es aussprach, würden sie ihn auslachen. Sie mochten ihn, das wusste er, und sie hatten ihn als einen der Ihren aufgenommen, dennoch würden sie lachen. Aber es gab Dinge, die nicht sein sollten. Sie verletzten die Weltordnung, jene zentrale Idee, dass Gott als Letztes die Erdachse schief auf die Umlaufbahn gesetzt hatte, sodass die Dämmerung am Äquator nur etwa zwölf Minuten dauerte, während sie dort, wo die Eskimos ihre Iglus bauten, länger als eine Stunde anhielt; dass er das getan und danach gesagt hatte: »Okay, wenn ihr diese Neigung der Erdachse entdecken und berechnen könnt, so könnt ihr auch alles andere entdecken und berechnen. Denn sogar Licht hat ein Gewicht, und wenn der Ton einer pfeifenden Lokomotive tiefer wird, wenn sie sich entfernt, so ist das der Doppler-Effekt, und wenn ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht, so ist der Knall kein Applaus der Engel oder Flatulenz von Dämonen, sondern nur freigesetzte Schallenergie. Ich habe die Erdachse schräg auf die Umlaufbahn gesetzt, und dann habe ich mich in den Zuschauerraum begeben, um die Show zu verfolgen. Ich brauchte euch nichts anderes zu sagen, als dass zwei und zwei vier ist, dass die Lichter am Himmel Sterne sind, und wenn irgendwo Blut ist, so können Erwachsene es ebenso sehen wie Kinder, und tote Jungen bleiben tot.« Mit der Angst kann man leben, hätte Stan gesagt, wenn er sich hätte artikulieren können. Vielleicht nicht auf ewig, aber doch sehr lange Zeit. Mit einer Verletzung der Ordnung kann man möglicherweise nicht leben, weil diese einen Riss im eigenen Denken verursacht, und wenn man in diesen Riss hinuntersieht, erblickt man vielleicht Lebewesen da unten, und sie haben kleine gelbe Augen, die nicht blinzeln, und es ist ein Gestank da unten in der Dunkelheit, und nach einer Weile denkt man, vielleicht ist ein ganz anderes Universum da unten in der Dunkelheit, ein Universum, in dem ein viereckiger Mond aufgeht, wo die Sterne mit

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