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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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dass er anschließend müde genug sein würde, um nach Hause zu gehen und ein paar Stunden zu schlafen. Aber als er dann schließlich alles aufgeräumt hatte, war er immer noch hellwach. Deshalb schloss er die Tür hinter seinem Büro auf, die in den Raum mit den wertvollen Erstausgaben der Bücherei führte; angeblich sollte er feuersicher sein, wenn die tresorartige Tür geschlossen war. Hier standen signierte Werke längst verstorbener Schriftsteller (darunter Moby Dick und Whitmans Grashalme ), Dokumente zur Stadtgeschichte und die Manuskripte der wenigen Schriftsteller, die in Derry gelebt und gearbeitet hatten. Wenn alles ein gutes Ende nahm, hoffte Mike, Bill überreden zu können, der Stadtbücherei seine Manuskripte zu überlassen. Während er die dritte Regalreihe entlangging und die vertrauten Büchereigerüche nach Staub, Muff und vergilbten Papieren genoss, dachte er: Vermutlich werde ich einmal mit einer Büchereikarte in der Hand und einem Stempel LEIH-FRIST ÜBERSCHRITTEN in der anderen sterben. Na ja, vielleicht gibt es Schlimmeres.
    Etwa in der Mitte des dritten Regals blieb er stehen. Sein ziemlich mitgenommener Notizblock, in dem die diversen skandalösen Geschehnisse in Derry sowie seine eigenen Abschweifungen und Ängste zu Papier gebracht waren, stand zwischen Frickes Das alte Derry und Michauds Die Geschichte von Derry. Er hatte das Notizbuch so weit nach hinten geschoben, dass es kaum zu sehen war. Niemand, der nicht direkt danach suchte, würde es hier aufstöbern.
    Er zog es heraus, löschte die Lampen, schloss die tresorartige Tür wieder ab und nahm an dem Tisch Platz, an dem sie vorhin alle gesessen hatten. Er blätterte die beschriebenen Seiten durch und dachte dabei, was für ein merkwürdiges Machwerk er doch fabriziert hatte: teils Geschichte, teils Skandalchronik, teils Tagebuch, teils Beichte. Seine letzte Eintragung stammte vom 6. April. Ich werde mir bald ein neues Notizbuch zulegen müssen, dachte er. Dieses ist schon fast voll. Aus unerfindlichen Gründen fiel ihm plötzlich Margaret Mitchells erster Entwurf von Vom Winde verweht ein – sie hatte ihn in normaler Schreibschrift in unzählige Schulhefte geschrieben. Er schraubte die Kappe von seinem Füllfederhalter, ließ den Blick durch die leere Bücherei schweifen und schrieb zwei Zeilen unter seinen letzten Eintrag 31. Mai. Dann begann er, alles zu notieren, was sich in den vergangenen drei Tagen ereignet hatte, angefangen von dem Moment, als er in seinem Büro den Telefonhörer abgenommen und Stanley Uris’ Nummer gewählt hatte.
    Etwa eine Viertelstunde lang schrieb er mit äußerster Konzentration … dann ließ sie nach, und er hielt immer häufiger inne. Stans abgetrennter Kopf im Kühlschrank tauchte vor seinem geistigen Auge auf, Stans blutiger Kopf mit dem offenen Mund voller Federn, Stans Kopf, der aus dem Kühlschrank gefallen und auf ihn zugerollt war. Er versuchte dieses Bild abzuschütteln und schrieb weiter. Fünf Minuten später fuhr er plötzlich zusammen und drehte sich in panischer Angst um, überzeugt davon, dass er gleich sehen würde, wie dieser Kopf mit unheimlich glasigen Augen, wie die eines ausgestopften Elchs, über die alten schwarzen und roten Fliesen auf ihn zurollte.
    Aber da war nichts. Kein Kopf. Und außer dem gedämpften Trommeln seines eigenen Herzens war auch kein Laut zu hören.
    Du musst dich zusammenreißen, Mikey. Es sind nur die Nerven, weiter nichts.
    Aber es nutzte nichts. Seine Gedanken verwirrten sich, er konnte nicht mehr ordentlich formulieren. Er spürte einen Druck im Nacken, der immer stärker zu werden schien.
    Das Gefühl, beobachtet zu werden.
    Er legte den Füller hin und stand auf. »Ist da jemand?«, rief er, und seine Stimme hallte gespenstisch vom Kuppeldach wider. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und versuchte es noch einmal. »Bill? … Ben?«
    Bill-ill-ill … Ben-en-en …
    Mike beschloss plötzlich, nach Hause zu gehen. Er würde das Notizbuch einfach mitnehmen. Er griff danach … und dann hörte er einen schlurfenden Schritt.
    Er blickte sich um. Lichterseen, umgeben von dunklen Schattenlagunen. Sonst nichts … zumindest konnte er nichts sehen. Er wartete mit laut pochendem Herzen.
    Wieder ein Schritt – und diesmal konnte Mike lokalisieren, woher das Geräusch kam. Die verglaste Passage zwischen Erwachsenen- und Kinderbücherei. Dort war jemand. Etwas.
    Lautlos schlich Mike zur Ausleihtheke. Die Flügeltüren zur Passage wurden mit Holzkeilen

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