Es: Roman
registrierte er, dass das Zifferblatt sich in das Gesicht seines Vaters verwandelt hatte – ein graues, vom Krebs gezeichnetes, ausgemergeltes Gesicht. Die Augen waren so verdreht, dass man nur das Weiße sehen konnte. Plötzlich streckte sein Vater die Zunge heraus, und die Uhr begann zu schlagen.
Mikes Hand rutschte von der Kante der Ausleihtheke ab. Einen Moment lang schwankte er auf einem Bein, dann fiel er wieder hin. Der Hörer baumelte am Ende der Schnur vor seiner Nase hin und her. Es fiel ihm jetzt immer schwerer, den Gürtel festzuhalten.
»He, mein schwarzer Bruder!«, rief Pennywise vergnügt aus dem Hörer und Mike registrierte am Rande seines Bewusstseins, dass Es die Stimme eines bekannten Radiosprechers imitierte. »Hier is’ der Obermotz! Ich bin der Obermotz von Derry, und das is’ die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Würdest du das nicht auch sagen, Bruder?«
»Falls dort jemand ist«, krächzte Mike, »eine echte Stimme hinter der, die ich gerade höre, so helfen Sie mir bitte. Ich heiße Michael Hanlon, und ich bin in der Stadtbücherei von Derry. Ich verblute. Falls dort jemand ist – ich kann Sie nicht hören. Man erlaubt mir nicht, Sie zu hören. Bitte beeilen Sie sich, wenn Sie da sind. Ich glaube, ich sterbe.«
Er legte sich auf die Seite und zog seine Beine an, bis er dalag wie ein Embryo. Er schlang den Gürtel zweimal fest um seine rechte Hand und konzentrierte sich nur noch darauf, ihn festzuhalten, während die Welt um ihn herum in ballonartigen, grauen Wolken verschwamm.
»Hallo, Bruder?«, quakte Pennywise immer noch aus dem hin und her pendelnden Telefonhörer. »Wie geht’s, wie steht’s, du Nigger? Hallo
4
Kansas Street, 12.20 Uhr
du da«, sagte Henry Bowers. »Wie geht’s dir, kleine Fotze?«
Beverly wollte instinktiv sofort losrennen. Mit einer so schnellen Reaktion hatten die Jungen nicht gerechnet, und vielleicht wäre es ihr tatsächlich gelungen wegzulaufen, wenn ihre langen Haare nicht gewesen wären. Henry packte sie daran und zerrte sie zurück. Er grinste ihr ins Gesicht; sein Atem war warm und stank.
»Wie geht’s, wie steht’s?«, fragte Henry sie. »Wohin des Weges? Willst du wieder mal mit deinen Arschlöchern von Freunden spielen? Vielleicht werd ich dir die Nase abschneiden und dich zwingen, sie zu fressen. Na, wie gefällt dir das?«
Beverly versuchte, sich zu befreien. Henry lachte und zog sie kräftig an den Haaren. Das Messer funkelte gefährlich in der dunstigen Augustsonne.
Plötzlich ertönte eine Autohupe.
»He, ihr da! Was macht ihr Burschen? Lass sofort das Mädchen los!«
Es war eine alte Dame am Steuer eines gut erhaltenen Ford Baujahr 1950. Sie hatte an der Bordsteinkante angehalten, beugte sich über den Beifahrersitz und schaute aus dem Fenster. Beim Anblick ihres zornigen, ehrlich empörten Gesichts wich der leere, betäubte Ausdruck von Victors Gesicht, und er warf Henry einen nervösen Blick zu. »Was …«
»Bitte!«, schrie Beverly schrill. »Er hat ein Messer! Ein Messer! «
Der Ärger der alten Dame verwandelte sich in Überraschung, Sorge und Furcht. »Was macht ihr Burschen da? Lasst das Mädchen sofort in Ruhe! «
Auf der anderen Straßenseite – Bev sah es ganz deutlich – erhob sich Herbert Ross aus dem Liegestuhl auf seiner Veranda, trat ans Geländer und blickte herüber. Sein Gesicht war ebenso ausdruckslos wie das von Belch Huggins. Er faltete seine Zeitung zusammen und ging ins Haus.
»Lasst sie los! «, kreischte die alte Dame.
Henry bleckte seine faulen Zähne und rannte plötzlich auf das Auto zu; Beverly zerrte er an den Haaren hinter sich her. Sie stolperte, fiel auf ein Knie, wurde weitergezogen. Der Schmerz in ihrer Kopfhaut war furchtbar. Sie spürte, wie ihr Haare ausgerissen wurden.
Die alte Dame schrie auf und kurbelte in Windeseile ihr Fenster hoch. Brüllend stieß Henry mit dem Messer zu, und die Klinge kratzte über Glas. Der Fuß der Frau rutschte von der Kupplung, das Auto machte drei große Sätze und landete mit den Vorderreifen auf dem Gehweg. Henry rannte hinterher, Beverly immer noch im Schlepptau. Victor leckte sich die Lippen und schaute sich nervös um. Belch schob seine New-York-Yankees-Baseballmütze zurück und kratzte sich verwirrt am Ohr.
Bev sah das bleiche, ängstliche Gesicht der alten Dame, sah, wie sie rasch die Türsicherungsknöpfe herunterdrückte, zuerst auf der Beifahrerseite, dann auf der anderen. Der Motor des Ford heulte auf. Henry holte mit dem Fuß
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