Es sterben immer drei
Orlando nach wie vor einen bemerkenswertenBösewicht ab. Immerhin hätte er sogar das immer noch verschwundene Holland&Holland-Gewehr in Russland stehlen können, er war ja ebenfalls Gast auf der Jagdparty gewesen. »Vermutungen sind der Feind jeder Ermittlung«, zitierte er einen berühmten Kriminologen, von dem er einen Aufsatz im Internet gelesen hatte. Da er mit dem eingegipsten Bein sonst nicht viel tun konnte, hatte er ehrgeizig weiter recherchiert und war sehr verdächtigen Aktivitäten auf die Spur gekommen. Obwohl Karl Kleemann bekanntermaßen seinen Lebensunterhalt nicht als Autohändler bestritt, sondern immer noch als Architekt, hatte er erst kürzlich in ganz Deutschland nur wenig gebrauchte Mercedes-Geländewagen zusammengekauft, die er dann in nordafrikanische Länder transportierte und dort offenbar wieder losschlug. Auf den Fotos der kleinen Feierstunden zwecks Übergabe konnte man die strahlenden neuen Besitzer aus Tunesien, Marokko und Ägypten sehen. Interessanterweise ausschließlich Geschäftspartner des Olivenölproduzenten Valle dei Cavalli. Nach Luis’ Meinung waren die Autos »nette, kleine Bestechungsgeschenke«.
»Vermutest du das oder weißt du das?«, fragte Stella.
Ihm verschlug es für einen Moment die Sprache, dann musste er zugeben, dass sein Wissen in gewisser Weise an Vermutung grenzte. Aber er hatte seit Tagen in der Weltgeschichte herumtelefoniert und in Gesprächen mit Gebrauchtwagenhändlern, Zulassungsstellen und Olivenbauern eine Menge Fakten zusammengetragen. Telefonieren ging mit Gipsbein völlig problemlos.
In dieses Geflecht krimineller Verwicklungen eines Olivenölsyndikats fügte sich Orlandos Verhaftung wunderbar ein. Als großes Finale eines Mafiaepos, als Showdown, in dem der Bösewicht seine Verfolgerin, weil sie sich nicht erpressen lässt, auf direkte Art und Weise mundtot macht. Mit einem großkalibrigen Gewehr. Valerie war die Heldin der Geschichte. Ein echter Scoop, genau wie Otto es vorausgesehen hatte. »Besser als damals der Fund von Barschel in der Badewanne«, jubelteLuis in seiner Euphorie und bot Stella an: »Wir schreiben das gemeinsam.«
Irma betrachtete ihn wie einen Dokumentarfilm über Fische auf 3sat. Mit leicht glasigem Blick, weil sonst nichts Ordentliches lief und weil sie in Gedanken ganz woanders war. »Die Cavallos wussten also von den Zwillingen? Und du meinst, die würden kaltblütig die Mutter ihrer Stammhalter abmurksen? Diese Mafia-Theorie wird immer absurder.«
Luis verstummte schlagartig. Die emotionalen Aspekte der Geschichte hatte er bislang, trotz aller Mahnungen, außer Acht gelassen.
Stella ergriff die Gelegenheit, ihm ihren Widerwillen gegen seine Theorie ebenfalls mitzuteilen, aber ohne ihm plump zu widersprechen. »Orlando wirkte als trauernder Liebhaber und Vater ziemlich überzeugend. Irgendwie glaube ich auch nicht daran, dass er der Mörder ist.«
»Glaubst du«, spöttelte Luis. »Irgendwie.«
Stella schaute ihn nachdenklich an. »Ja.«
»Die Sache ist doch klar wie Kloßbrühe.« Irma ließ sich durch Einwände nie verunsichern. »Jochen hat Valerie ermordet und wir werden das beweisen. Wir haben das Futteral, und jetzt finden wir auch noch das Gewehr dazu.«
»Und wie soll das gehen?«, fragte Luis.
»Wir fahren zur Casa Pornello und suchen es dort.«
Luis schaute sie an, als hätte sie einen obszönen Witz zum Besten gegeben. Nicht sicher, ob er darüber lachen durfte oder eher entrüstet sein sollte.
»Katharina hat mir erzählt, dass Jochen sie heute Nachmittag ins Krankenhaus bringt. Sie muss zu irgendwelchen Untersuchungen ein paar Tage da bleiben. Er ist also jetzt nicht zuhause. Das ist die Gelegenheit.« Sie knuffte ihre Tochter in die Rippen.
Stella zögerte. Ihr gefiel die andere Möglichkeit, Jochen dingfest zu machen, trotz allem besser. Trotz der Abfuhr in OrlandosEinfahrt. Außerdem lag inzwischen das Futteral auf dem Tisch. »Ich ruf lieber Luca an«, entschied sie. Am Telefon eventuell noch mal abgewiesen zu werden, glaubte sie besser verkraften zu können als eine Ablehnung bei einer persönlichen Begegnung.
Die Nummer der Carabinieri war besetzt.
»Feiglinge.« Irma war empört, dass ihr Vorschlag ignoriert wurde. »So schwer kann das doch nicht sein, das Gewehr zu finden.«
Den Vorwurf mangelnder Zivilcourage wollte Luis nicht auf sich sitzen lassen, und dass Irma sich einer tödlichen Gefahr auslieferte, konnte er auch nicht zulassen. »Wenn Jochen wirklich mit dem Mord zu tun hat,
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