Es sterben immer drei
Boltanski. Der russische Oligarch.«
Aber er konnte sie schon nicht mehr hören. Das Fenster war wieder geschlossen, und Autos bremsten quietschend, als er mit aufheulender Sirene in die Hauptstraße einbog. »Wie kommt sein Futteral in Jochens Auto?«, brüllte Stella so laut sie konnte hinter ihm her, obwohl sie wusste, dass es aussichtslos war. Sie setzte sich auf die Eingangstreppe vor dem nun verlassenen Haus und dachte nach. Verärgert über seine sture Ablehnung ihrer Hilfe. Wenn er nicht zuhören wollte, musste sie ihn eben dazu zwingen. Neugierig beäugt von einer Nachbarin in Pantoffeln, die am Zaun die hochinteressanten Aktivitäten gegenüber observiert hatte, wählte sie Lucas Handynummer. Er meldete sich sofort. Sie versuchte so ruhig und gleichzeitig so schnell wie möglich zu sprechen. »Hör zu. Boltanskis Futteral muss in Katharinas Haus sein. Das ist der Beweis, dass Jochen sehr wohl ein H&H-Gewehr besitzt. Ihr müsst es finden.«
»Müssen, müssen, wir müssen gar nichts«, schnauzte er sie an. »Lass mich endlich in Ruhe.« Und schon war er wieder weg. In Ermangelung eines Hörers zum Aufknallen durch Betätigung der Austaste.
Sie verzichtete darauf, ihm die ganze Geschichte auf seiner Mailbox zu wiederholen. Seiner Laune nach zu urteilen war er erst wieder in hundert Jahren bereit, sich mit ihr zu beschäftigen. Auch eine SMS half in dieser Stimmung nicht weiter. Ziemlich unfair, vor allem wenn man bedachte, dass sie ihm nicht nur Marlene geliefert hatte, sondern auch die Fleecejacke mit dem Reißverschlussanhänger und Orlando als dringend Tatverdächtigen. Ein kleines Dankeschön hätte er sich schonabringen können, statt sie derart zu brüskieren. Taten sie nicht alle einfach nur ihren Job, so gut wie möglich? Sie drängte die aufsteigenden Tränen mit großer Willensanstrengung zurück. Sie fühlte sich verkannt und unfair behandelt. Abserviert, nur weil sie darauf bestanden hatte, ihm zu helfen. Das musste er doch einsehen.
Sie überlegte, wie sie Luca wieder gnädig stimmen konnte, ohne dass es aussah, als ob sie ihm wie ein verliebter Teenager nachlief. Es blieb nur eine Möglichkeit, sie musste ihm auch noch das wichtigste Beweisstück liefern. Die Tatwaffe. Da es über deren Aufenthaltsort keinerlei Hinweise gab, blieb das zweitbeste Indiz: das Behältnis, in dem die Tatwaffe gestohlen worden war. Das Futteral. Noch schien Luca sich nicht dafür zu interessieren, aber würde er es erst mal in Händen halten, würde er einsehen müssen, dass sie völlig zu Recht so hartnäckig geblieben war. Dann bliebe ihm nichts anderes übrig, als ihr zu verzeihen und sich wieder liebevoll mit ihr zu versöhnen.
Sie stand auf und klopfte sich den Staub vom Rock. Das verfluchte Ding musste sie retten, bevor sie vor lauter Enttäuschung noch an ihrer eigenen Mordtheorie zu zweifeln begann und ihre Selbstachtung restlos verlor.
37
Katharinas Haus war abgeschlossen, die Besitzerin abwesend. Keine Möglichkeit, sie nach dem Verbleib des Futterals zu fragen. Stella saß schon fast wieder im BMW, als Derrida vorsichtig aus der Scheune lugte, um zu sehen, wer da erschienen war. Freund oder Feind? Bei Letzterem hätte er sich gleich wieder verzogen. Feiger Hund. Dass er gehorsam angetrottet kam, als sie ihn rief, fasste Stella als Kompliment auf. Sie kraulte ihm dieOhren. Wahrscheinlich wusste Katharina, dass ihr postmoderner Begleiter sich gern in die Scheune zurückzog und schloss sie deswegen nicht ab. Vielleicht, spekulierte Stella voller Hoffnung, hatte er in einem unbeobachteten Moment das Futteral wieder an sich gebracht und in eine dunkle Ecke verschleppt. Sie betrat die Scheune, die eigentlich mehr ein Schuppen war, und musterte ratlos das Sammelsurium an ausgedienten Gartenmöbeln, verrostetem Gerät, achtlos abgelegtem, seit Ewigkeiten nicht benutztem Werkzeug, eingetrockneten Farbeimern. Der übliche Zivilisationsmüll, der sich über ein Leben hin ansammelt. Kein Wunder, dass Katharina und Jochen sich scheiden lassen wollten. Schon ein Blick in ihre Behausungen hätte ihnen zeigen müssen, dass sie nicht kompatibel waren. Hier der Pedant, dort die Chaotin, da war Ärger vorprogrammiert. Derrida legte sich auf ein angeschimmeltes Liegestuhlpolster. Nirgends eine Spur von dem Jagdaccessoire einer Nobelmarke. Sie überlegte, wo Katharina ein Corpus Delicti in Flintengröße verstecken könnte, wenn sie Wert darauf legte, dass es nicht der Polizei in die Hände fiel. Nahrungsmittelbehälter
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