Es sterben immer drei
schockiert.
»Papa hat zwar immer gewarnt, dass man mit dem Lauf eines Gewehres nie auf einen Menschen auch nur zeigen darf, selbst nicht beim Putzen oder aus Spaß. Es könnte ja versehentlich noch eine Kugel drinstecken, aber als Kind ist dir das egal. Eswar verboten, das gehörte zum Abenteuer dazu. Old Shatterhand war mein Idol.«
»Kind, Kind, das sind mir Geschichten.« Irma schüttelte missbilligend den Kopf.
Luis holte ein Sieb vom Regal, stellte es ins Spülbecken und schüttete die Spaghetti aus dem Topf hinein. »Nächsten Sonntag beginnt die Jagdsaison«, sagte er und beugte das Gesicht zur Seite, damit ihn der heiße Wasserdampf nicht verbrühte. »Da wird viel in der Gegend rumgeballert und es kommt immer mal wieder zu einem Unfall. Aber Valerie wurde eine Woche vor dem offiziellen Beginn erschossen. Zwar sind dann auch immer schon einige Übereifrige unterwegs, die nicht abwarten können, bis es endlich losgeht. Trotzdem glaubt die Polizei nicht, dass Valerie von der verirrten Kugel eines unbekannten Jägers getroffen wurde. Nein, Valerie wurde ziemlich sicher ermordet. Mit einem meisterhaft gezielten Schuss in den Kopf. Profikiller arbeiten so.«
»Woher weißt du das schon wieder? Stand das auch in dem Polizeibericht?«, fragte Stella.
»Hat mir Luigi erzählt. Der Wirt in der Bar Centrale.«
»Der Mörder wird schon seinen Grund gehabt haben. Sie war ja ein ziemliches Flittchen.« Irma zeigte immer noch kein Mitleid für die arme Valerie.
Luis ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Als der Hund sie fand, war sie seit ungefähr zehn Stunden tot. Eingepackt in zwei große blaue Müllsäcke, wie sie in jedem Haushalt zu finden sind. Man kann sie im Supermarkt kaufen. Die Leiche lag unter einem Haufen Laub und Gestrüpp in einem Gebiet, in dem Waldarbeiter seit Wochen Holz schlagen. Auch an dem Morgen, an dem Valerie gefunden wurde, waren sie mit Bulldozern unterwegs. Ein schwieriges Terrain, um Spuren zu verfolgen. Hätte der Hund sie nicht zufällig gefunden, wäre sie vielleicht noch lange unentdeckt liegen geblieben. Sie wurde also höchstwahrscheinlich nicht am Fundort erschossen. Bis jetzt weiß diePolizei aber nicht wo, obwohl sie vorgestern gleich mit Hunden die Gegend abgesucht haben. Ohne Erfolg.«
»Steht das im Polizeibericht, sagt das Luigi oder stand das in der Mail aus Mailand?«
Er schwieg und trug die Spaghettischüssel zum Tisch.
Stella zeigte ihm ihren Google-Ausdruck und tippte auf die markierte Stelle im Wald, die sie aus Katharinas Computer übertragen hatte. »Die ganze Zeit habe ich mir überlegt, warum sie sich für ein so abgelegenes Gebiet interessierte. Jetzt weiß ich’s.« Sie setzte sich. »Es ist der Fundort der Leiche.«
»Auffindeort«, sagte Irma und nahm Luis ohne zu fragen das Blatt aus der Hand.
»Wir könnten uns nach dem Essen dort umgucken und vielleicht ein paar Fotos machen«, schlug Stella vor.
Irma verteilte Papierservietten. »Da komm ich mit.« Ihre Jagdinstinkte waren plötzlich hellwach.
6
Mit Hilfe von Luis’ Wanderkarte fanden sie problemlos den Weg. Die Luft war heiß und roch noch hochsommerlich nach Staub und Dürre, obwohl die Blätter schon anfingen sich zu verfärben und die Sonne den Wald in ein frühherbstliches Lichtspiel aus Grün und noch schüchternem Orange tauchte. Ohne Vorwarnung stand plötzlich Derrida an einer Weggabelung, als hätte er auf sie gewartet. Er hielt einen zerfledderten Seehund aus Plüsch so lässig im Maul wie Philippe Marlowe eine Zigarette und trabte voraus. Ab und zu drehte er den Kopf, um sicherzugehen, dass auch wirklich alle nachkamen. Er schien zu wissen, wohin sie wollten und den Weg zu kennen, trotzdem vergewisserte sich Luis ab und zu mit einem Blick auf die Karte,dass sie sich noch auf der richtigen Route befanden. Einmal durchquerten sie eine Herde weißer Kühe, die den Durchgang versperrten wie eine feindliche Gang. Aber statt ihnen mit den Hinterhufen einen Kinnhaken zu verpassen, machten sie dann doch gutmütig Platz und ließen sie vorbei. Immer mal wieder tauchte auf einer Bergkuppe ein Haus auf, das hinter einer anderen Abzweigung von einem anderen Haus auf einer anderen Bergkuppe abgelöst wurde. Wie schön es hier war. So friedlich. Stella genoss den Spaziergang, obwohl sie deswegen einen Hauch von schlechtem Gewissen spürte, schließlich war sie auf dem Weg zum Fundort einer Leiche, und immerhin hatte sie die Tote gut gekannt. Von alpinen Bergwanderungen gestählt, hatte Irma
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