Es sterben immer drei
Sperrholzplatten geklebt, mit einem Rahmen eingefasst, als würden sich damit die vielen kleinen Bilder zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Als wären die Bilder ein Leben. Sie zeigten mit einer Penetranz, die Stella verblüffte, nur ein Motiv. Katharina, Kleemann und Jochen. Von ganz jung, Studenten höchstens, bis in die jüngste Zeit. InHippiegewändern aus den 70er-Jahren, in Schlafanzügen, Badeanzügen und Abendkleidung. Kleemann und Jochen mit langen Haaren, kurzen Haaren und fast keinen Haaren. Am Anfang dünn, nahmen beide im Laufe der Jahre an Masse zu. Kleemann wesentlich mehr als Jochen. Bei Katharina war es umgekehrt. Die Pausbäckchen der frühen Fotos verschwanden mit den Jahren, sie wurde dünner, ätherischer, schöner. Auch in den stilistisch fragwürdigen 80er-Jahren hatte sie sich keine Geschmacksverirrung geleistet. Ihre langen blonden Haare trug sie offen oder bändigte sie in Knoten und Pferdeschwänzen. Der Turban war anscheinend eine Errungenschaft der letzten Zeit, noch nicht im Bild verewigt. Immer nur Katharina, Karl und Jochen, lachend, melancholisch, müde. Betrunken, nachdenklich. Immer alle drei. Sich umarmend, gemeinsam auf der Couch, vor Eiffelturm und Taj Mahal. Beim Frühstück, auf Partys und, was Stella nicht weiter überraschend fand, unter Laken im Bett. Katharina selbdritt, dachte Stella, die unter anderem auch ein paar Semester Kunstgeschichte studiert hatte und sich darauf durchaus etwas einbildete. Aus welcher Zeit die neuesten Fotos stammten, war nicht genau auszumachen. Zehn Jahre her, vielleicht auch nur fünf oder zwei. Während Kleemann in die Kamera lachte und gestikulierte, schaute Jochen meistens ernst und hielt den Oberkörper sehr bewusst aufrecht. Wie jemand, der sich von der Kamera belästigt fühlt, aber zu höflich ist, um sich einfach wegzudrehen. Am Anfang eindeutig der Unscheinbarere der beiden, schlank, groß und offensichtlich auch der Stillere. Eine Zeitlang sah es aus, als würde er schneller altern als Kleemann. Mit ungefähr Ende 30 hatte er in seinen vielen Bürostunden sichtlich Masse angesetzt, aber irgendwann verschwand sie wieder. Er nahm ab und stellte immer mehr Insignien eines erfolgreichen Managers zur Schau. Doppelreiher aus Kaschmir, makellos gebügelte Hemden, mit und ohne Krawatte, teure Uhren, ein Mercedes im Hintergrund. Bei Kleemann lief die Entwicklung in die umgekehrte Richtung. Auf den früheren Fotos platzte er fast vorSelbstsicherheit und Energie. Nach und nach verflüchtigte sich aber seine Arroganz. Gesicht und Figur wurden runder, sein Haar grauer. Und plötzlich, von einem Foto zum nächsten, sah er müde und verlebt aus. Man sah ihm den Verlust der Hoffnungen genauso an, wie Jochen seine Gehaltssprünge.
Ein jahrzehntelanger Dreier, wurde Stella klar, während sie die Bilder studierte, und fragte sich, wer mit wem ein Verhältnis hatte, wer mit wem ins Bett ging. Katharina mit beiden Männern? Gleichzeitig oder abwechselnd, oder beides? Die Männer nur mit Katharina oder auch miteinander? Und wie passte Valerie in die Idylle? Oder die Freundinnen von Kleemann, die immer jünger wurden, wie Katharina gesagt hatte. Die neue war gerade mal 22. Und Katharina selbst war einmal mit dem einen und immer noch mit dem anderen verheiratet. Ganz schön verzwickte Familienverhältnisse, das versprach eine interessante Geschichte zu werden. Otto wusste das natürlich, deswegen hatte er sie auf die Jagd geschickt.
Ein Foto fehlte offenbar im Rahmen. Es war eine Lücke in dem Bilderteppich sichtbar, ein Stückchen rechteckige Spanplatte. Stella wusste sofort, welches Bild an den Platz passen könnte. Sie hatte es nur aus den Augenwinkeln registriert, noch nicht forsch genug, um sich der Sache genauer anzunehmen. Jetzt traute sie sich. In der kleinen Kammer lag es im Papierkorb, sorgfältig in kleine Stücke zerrissen, halb verdeckt unter Orangenschalen und ein paar benutzten Tempotaschentüchern. Sie klaubte die Einzelteile mit spitzen Fingern aus dem Abfall und legte sie auf dem Computertisch zusammen. Katharina, Otto und Jochen, wer sonst. Alle drei mit Jagdgewehren in der Hand. Alle drei trugen Schleifen, die Männer am Revers, Katharina am Ausschnitt ihrer Bluse, ähnlich solchen, die Pferden bei einem Turniersieg ans Zaumzeug geheftet werden, nur in etwas kleineren Dimensionen. Offensichtlich hatte Katharina selbdritt bei einem Schießwettbewerb die drei ersten Plätze belegt. Die drei konnten also gut mit einem Gewehr umgehen,
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